Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
Beerdigung eines PAC -Mitglieds, ebenfalls erschossen von der Polizei. »Die beseitigen euch auf der Stelle.«
Die letzte Information reichte uns, denn rabiater als der PAC ( Pan Africanist Congress ) konnte keiner von seiner Verachtung singen. Die Politik des Ausgleichs galt ihren Mitgliedern als Verrat, auch deshalb hatten sie sich von Mandelas ANC abgespalten. Wir rannten los, über die Gräber direkt auf unser Auto zu. Wir wollten leben und nicht lebend begraben werden. Irgendwie müssen wir komisch ausgesehen haben. Aber wir standen unter Schock und ein eleganter Abgang war augenblicklich unsere geringste Sorge. Trotzdem, ein Hauch von Poesie kam in diesen strapaziösen Vormittag. Von fern hörte ich das Tuten einer Eisenbahn, ich blickte auf und der wunderschöne Blue Train , in dem ich vor nicht langer Zeit eine wahrlich romantische Nacht verbracht hatte, zog am Horizont vorbei, Richtung Kapstadt. Jäh wurden mir wieder die Gegensätze bewusst. Was für ein starkes, buntes Land, was für eine Schönheit in ihm! Und was für ein Irrsinn, was für eine Unversöhnlichkeit.
Wir fuhren nach Hause, kifften und Monica legte kalte Umschläge auf Kens verbeulte Schultern. Während er seine Friedhofstaub-verdreckten Kameras reinigte. Noch im K .o.-Gehen wollte er sie nicht loslassen. Er war eben besessen.
Nachwort
An einem Apriltag, nur Wochen später, nachdem ich zum letzten Mal mit Ken gearbeitet hatte, befand ich mich in meiner Pariser Wohnung. Nicht allein, Besuch war gekommen. Eine iranische Freundin hatte feinen Stoff mitgebracht und drehte gerade anmutig zwei Joints. Und erzählte nebenbei. Als politischer Flüchtling hatte sie einiges zu berichten. Bis gleichzeitig, eher überraschend, das Telefon läutete und ein Fax kam. Ich hob ab – auch befremdlich, weil ich sonst nie in Anwesenheit anderer telefoniere – und eine französische Journalistin sagte ziemlich genau das, was auf dem Fax stand, das mir Hans Brand, ein feiner Kollege aus Südafrika, im selben Atemzug schickte: »Ken Oosterbroek ist heute Nachmittag in Thokoza, östlich von Johannesburg, erschossen worden.«
Ich habe weder den französischen noch den deutschen Text verstanden. Er kam in meinem Hirn an und machte keinen Sinn. Gehört – aber nicht zu begreifen. Gelesen – aber nicht zu dechiffrieren. Wie eine Bombe, die in die Erde schlug und dort als Blindgänger steckenblieb. Aber ich geriet in das, was die Franzosen einen »état second« nennen, einen zweiten Zustand , eine Art Trance. Fast traumwandlerisch ging ich anschließend mit Shirin zum Essen, ohne ein Wort über die Nachricht zu verlieren. Irgendwann muss ihr mein seltsamer Gesichtsausdruck aufgefallen sein und sie wollte wissen, was »los sei«. Nichts war los, nur einer weit weg war jetzt tot und ich saß in einem thailändischen Restaurant. Dann riss ich mich zusammen und wir plauderten. Über leichte, belanglose Dinge.
Ken hatte es geahnt. Jetzt war es soweit.
Zehn Tage vor diesem 18. April war er zum dritten Mal zum »Fotografen des Jahres« Südafrikas gewählt worden. Und für seine Bilder, die er zu unserer ersten Reportage geliefert hatte, war er in Amsterdam mit einem World Press Photo Award ausgezeichnet worden. Und in acht Tagen sollten die ersten freien Wahlen stattfinden. Und Mandela Präsident werden.
Erledigt hatte den Zweiunddreißigjährigen ein Mitglied der National Peace Keeping Force , jener zum Teil aus Ex-Kriminellen zusammengestellten Truppe, die hastig und dürftig trainiert für Ruhe und Frieden im Land sorgen sollte.
Auch wahr: Nicht Mordlust trieb den Täter, sondern mangelnde Nervenstärke. In der berüchtigten Khumalo Street war es wieder zu Auseinandersetzungen zwischen dem ANC und Inkatha-Zulus gekommen. Fast der gesamte Bang Bang Club war angerückt. Und die Fotografen gerieten ins Kreuzfeuer der anderen, der verfeindeten Parteien. Und in die Salven der Soldaten. Von denen einer plötzlich kopflos durch die Gegend zu ballern begann. Bis Greg Marinovich schwer verwundet umfiel. Und Ken tödlich getroffen, direkt neben seiner Leica M6. »Friendly fire«, nennen Militärs ein solches Ende. Weil ein »Freund« feuerte und nicht der Gegner.
Der Tag kam, vielleicht eine Woche danach, an dem die Nachricht bei mir eintraf. Mich traf. Ich saß gerade in einem Kino. Und ich ließ sie zu, spürte sie zum ersten Mal. Wie so oft war ein Kinosaal der Ort, an dem ich – seit meiner Kindheit – versuchte, mit den heftigeren Verwundungen fertig zu
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