Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
verlieren, schneller unheilbare Fehler begehen. Nach dem zweimaligen Versuch, den Fotografen halbtot zu schießen, fingen die drei Raubritter an, sich gegenseitig anzubrüllen. Lautstarke Schuldzuweisungen für das Fiasko. Bis meine beiden Bewacher aufsprangen, den potentiellen Killer an der Schulter packten und zum Wagen zerrten, Kens Wagen. Und fluchtartig davonjagten. Der Spuk, etwa drei Minuten lang, war zu Ende. Ken sah wie vom Galgen geholt aus, wie einer, der eine Hinrichtung überlebt hatte.
Trotzdem, wir verloren keine Zeit, dankten dem rührigen Alten und machten uns zu Fuß auf zur nächsten Polizeistation, in Kliptown , dem Nachbarslum. Man reagierte sofort. Vier Polizisten, mit gezogener Waffe an den Fenstern ihrer zwei vergitterten Autos, durchkämmten die Umgebung des Überfalls, die Squattercamps. Mit uns als Wegweiser im Fond. Die vier Beamten inszenierten die Show, um Ken und mir, den zwei Weißen, einen Gefallen zu tun. Wir wussten alle, dass nicht die geringste Chance bestand, das Diebesgut wiederzufinden. Wie üblich kam eine solche Ware umgehend in einen body shop . So nannten sie hier die illegalen Garagen, in denen im Eilverfahren die Karosserie (in unserem Fall die eines Hondas) in ihre Einzelteile zerlegt und per Stück – Räder, Sitze, Radio, Getriebe, Türen, Motorhaube, Motor, Scheibenwischer etc. – verschachert wurde. Kens Filmrollen (die Ernte des Tages), sein Adressbuch und den Schlüsselbund werden sie wohl weggeworfen haben. Meine sündteure Lederjacke wohl nicht. Aber wir hatten unser Leben. Und die Story. Und ein Gefühl von maßloser Ohnmacht.
Am nächsten Tag waren wir wieder in Form, wir brauchten keinen Ruhetag, informierten nicht einmal GEO über den Zwischenfall. (Die Redaktion erfuhr davon über die Zeitungen.) Wir wollten keine Mahnreden hören, wir wollten den rush , den Hochbetrieb. Uns hetzte ein geradezu neurotisches Verlangen nach Intensität. Ein Junkie spritzt sich solche Gefühle und Reporter tauchen dort auf, wo die Wirklichkeit wehtut, wo sie auf brachiale Weise etwas preisgibt, was wir wissen wollten. Vielleicht ist das ein bisschen pervers. Aber so ist es.
Wir gingen nach Alexandra, einem Wirrwarr aus Armseligkeit, Gestank und Zukunftslosigkeit. Am Tag zuvor hieß es laut Radionachrichten, dass über das Wochenende elf Leute in der Gegend ums Leben gekommen waren. Gewaltsam, unfreiwillig, eher jung. »Beirut« nannten sie den Stadtteil, in Erinnerung an den libanesischen Bürgerkrieg und die zerschossene Hauptstadt.
Unser Besuch verlief glimpflich. Obwohl Ken bei jedem fünften Eck auf ein Massaker verwies, das hier stattgefunden hatte. Leichen als Orientierungspunkte. Wüste Schlachten zwischen der Inkatha Freedom Party (die Zulu-Partei) und dem ANC fanden hier statt. Den Rest erledigten Banden, denen das Chaos nur zupass kam. Sogar die Kanaldeckel fehlten. Was transportierbar war, wurde demontiert. Mittendrin fraßen Kühe von einem Abfallhaufen, darüber ein Poster: »Das Blut Jesu reinigt dich von allen Sünden.« Klar, ohne Blut kam hier keiner aus, auch kein Erlöser. Blut als Währung, als Visitenkarte. Ein Geisteskranker rannte mit gellendem Freudengeschrei zum nächsten (stacheldrahtumzingelten) Shop, nachdem ich ihm das Geld für zwei Flaschen Bier gegeben hatte. Auf meine Frage, was er wollte, hatte er geantwortet: »I want life.« An diesem Ort irre zu werden klang logisch, ja, irgendwie gesund.
Von diesem Quadratkilometer war alles verschwunden, was ein Menschenleben reich macht: Respekt, Schulen, Sauberkeit, Wohnungen, gerade Häuser, der Staat, Vergnügen, Caféterrassen, ein Gefühl von Zugehörigkeit. Wir hielten uns im Schatten eines Casspir mit sechs Mann Besatzung. Der gepanzerte Truppentransporter der südafrikanischen Armee schien hier die einzige Autorität. Auch er war überzogen mit Stacheldraht. In diesem Land musste man tatsächlich jedes Teil festzurren. Damit kein anderer es davontrug.
Hier die letzte Szene, der wir entkamen. Noch eine Adrenalinkeule. Dass sie auf einem Friedhof niederging, entbehrte nicht einer gewissen Ironie: Wir erkundigten uns frühmorgens beim Soweto Council nach den Beerdigungen, die für den Tag geplant waren. Der zuständige Angestellte schrieb ein paar Grabnummern auf, wo in der nächsten Stunde Leute bestattet würden. Und händigte uns Kopien mehrerer Totenscheine aus, auf denen auch die Todesursache stand: »Unnatural cause«, ins Unmissverständliche übersetzt: gewaltsames Ende. Der Mann
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