Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
irgendwoher kommt ein verdächtiges Husten. Stille.
Als erster Mensch läuft mir Mister Thawin über den Weg, der cremation man . Er verbrennt hier seit Jahren die Leichen. Er trägt noch immer sein Walkie-Talkie am Gürtel. Er muss erreichbar sein, denn Tote riechen in der Hitze schneller. Thawins Arbeitsplatz scheint gesichert. Dass ich ihm zuerst begegne, wie sinnig. Als begänne am Tor ein Crashkurs in Sachen Buddhismus: Mache dir keine Illusionen, wer hier landet, muss sterben.
Problemlose Anmeldung. In Thailand lächeln sie, wenn sie einen Fremden sehen. Nur ein Formular mit Namen und hiesiger Anschrift ausfüllen. Dazu die Bitte, ein Blatt zu lesen, auf dem die »regulations« stehen, Auszüge: Achte auf deine Sprache, sei dir der »Gefahr eines Wortes« bewusst. Keine Gewalt, auch keine verbale, gegen Mensch und Tier. Keine Drogen, kein Alkohol, keine Zigaretten, kein Sex auf dem Gelände. Das Kloster übernimmt keine Verantwortung für etwaige Verletzungen und Infektionen. Respektiere den Glauben jedes Patienten, jeder Versuch, ihn zu ändern, ist untersagt.
Hilfreich wäre, sich auf die Stunde vorzubereiten, in der man den Raum mit den Aids-Kranken betritt: Erdgeschoss, ein Mittelgang, links und rechts die knapp vierzig Betten. Wer hier liegt, liegt im Endstadium. Vor dem Ausgang stehen die gestapelten, noch leeren Särge. Jeder sieht sie jeden Tag, jeder weiß, dass keiner davonkommt.
Von den Krankenschwestern, die bei meinem ersten Aufenthalt hier gearbeitet haben, sind alle weg. Nicht verstorben, aber erschöpft von den Zumutungen, denen auf Dauer die wenigsten standhalten. »Golf« – Thais lieben Kosenamen – begrüßt mich scheu, die neue Oberschwester reicht Mundschutz und die Anan Balm-Creme . Das ist ein Augenblick wunderbaren Einverständnisses. Frage irgendeinen, der Tage und Nächte im Bett liegt, was er sich am innigsten wünscht, und er wird antworten: »Eine Massage.« Weil sie ein Wohlgefühl verbreitet, weil sie die Blutzirkulation in dem verkümmernden Leib stimuliert, weil der Mensch spürt, dass ein anderer sich seiner annimmt.
Das ist ein besonderer Moment. Denn alle Patienten, die noch die Kraft haben, schauen auf den Neuen. Mit Sympathie und Zurückhaltung. Sympathie, weil sie wissen, dass die meisten Fremden kommen, um Tätigkeiten zu verrichten, die ihnen gut tun. Zurückhaltung, weil sie auch wissen, wie sie aussehen, schon erfahren haben, dass sie oft Schrecken und Widerwillen auslösen. Zuletzt: Jemanden berühren, meist nur die bloße Haut, ist ein intimer Vorgang. Er bleibt es, selbst wenn er medizinisch gerechtfertigt ist.
Niu hat Nachsicht mit mir und lächelt herüber. Als ich auf ihn zugehe, heben zwei andere bereits die Arme, sie wollen sich anmelden. In Prabat Nampu muss keiner nach Arbeit suchen, sie wartet vierundzwanzig Stunden am Tag auf ihn.
Niu hat Charme. Während ich seine Beine einreibe, klärt mich der Achtundzwanzigjährige auf. Seine Art, uns zu entspannen: »I am ladyboy«, sagt er nonchalant. So heißen in Thailand jene Männer, die lieber als Frauen auf der Welt wären. Viele verbringen ihr Leben als Transvestiten, viele werden Transsexuelle und lassen sich operieren. Niu fasst mit Stolz an seinen Kunstbusen: »Hat mich 47000 Bath gekostet.« (Knapp 1200 Euro.) Fürs »cutting«, so nennt er das, fürs Entfernen seines Geschlechts, hatte er kein Geld mehr. Auch kam die Krankheit.
Ladyboys gehören zu den Gefährdetsten im Land, die meisten verdingen sich als Prostituierte. Was ihnen eher leichtfällt, denn – die Massage zieht sich, Niu sucht listig nach Worten – die neugeborenen »Frauen« müssen sich immer wieder bestätigen, dass sie als Frauen begehrt werden. Jeder hungrige Blick auf sie, jeder Beischlaf ist ein Beweis für ihre jetzt so andere Existenz. Auf die Frage, wie er es mit dem Einsatz von Kondomen gehalten hat, entkommt dem hübschen Zwitter ein abschätziges: »Don’t like.«
Niu will niemanden belasten, auch nicht sich selbst. Er glaubt noch nicht an den Tod. Auch wenn sein Leib täglich am Tropf hängt. Seine Haut wurde bisher von (sichtbaren) Verwüstungen verschont. Den Verlust von fünfzehn Kilo Fleisch will er nicht sehen.
Drei Betten hinter Niu liegt Huang. Sie hat sich vorher nicht gemeldet, sie kann nicht mehr. Aber Nuden, eine der Schwestern, deutet auf sie. Huang liegt auf dem Rücken, abgezehrt wie ein verhungernder Vogel, ihre abgewinkelten Arme und Beine ragen wie schmutzig-graue Hölzer in die Luft. Als
Weitere Kostenlose Bücher