Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
Vom Netzwerk:
werden. Auch dann, wenn ein Film lief, der nichts mit dem Auslöser der Schmerzen zu tun hatte. Wichtig nur: dass es dunkel war und keiner sah, wie ich zu heulen anfing.
    Und jedes Mal – ganze Monate lang – kam mir in diesen heimlichen Stunden eine Lieblingsszene in den Sinn. Bisweilen, ach, unergründliches Menschenherz, beruhigte mich die Erinnerung an sie, bisweilen schlitterte ich tiefer. Der so harmlose Vorfall war an jenem Samstag passiert, an dem wir vom Avalon-Friedhof geflüchtet waren und bei Ken zu Hause saßen. Und er – der haltlos Leidenschaftliche – trotz lädierter Schulterblätter seine Kameras zerlegte und entstaubte.
    Irgendwann hatte ich ihn dabei fotografiert. Ungesehen, diskret, kein Ton war zu hören. Wie ich es immer in bewegenden Momenten tue: jemanden (oder die Welt) nur mit meinen Augen abzulichten.
    Sorgfältig habe ich das Bild abgespeichert, so als wüsste ich, dass ich noch tausend Mal an ihn denken würde. An ihn, Ken, und an ihn, diesen Augenblick, den so unspektakulären: Ein Mann sitzt an einem Küchentisch und in den Händen hält er sein Leben.

IM ANGESICHT DES TODES
    Die Aufnahme zeigte das Gesicht eines Mannes, den eine Hand streichelte. Das Gesicht lag auf einem Kopfkissen und sah jung und verwüstet aus. Der Text darunter: »Aids-Patient in Thailand.« Sonst nichts. Das Bild war in einem amerikanischen Magazin abgedruckt. Ich rief umgehend den Fotografen James Nachtway in New York an und fragte ihn nach dem Ort, wo das Foto entstanden war: in einem buddhistischen Kloster, zwei Zugstunden von Bangkok entfernt.
    Kurz darauf kam ich dort an, als Reporter. Zu spät, natürlich. Der Mann war bereits tot. Die Hand, erfuhr ich, gehörte Christina, einer jungen Frau aus Europa. Sie war inzwischen abgereist. Sie hatte hier gearbeitet. Ich hätte ihr gern einen Satz von Jean Cocteau geschenkt: »Es gibt keine Liebe, nur Beweise der Liebe.« Ein trockener Satz, der das Betroffenheitsgestammel von Handlungen unterscheidet, die Wärme und Nähe erzeugen.
    Jahre später bin ich wieder im Kloster Prabat Nampu . Nicht als Reporter, sondern als »volunteer«, Freiwilliger, als einer, der das Aids Hospice ein paar Wochen verkraftet, wie andere vor mir: als Handlanger und Hilfskraft. Die Mittel sind knapp. Jeder, der Windeln wechseln kann und ein oder zwei Tote pro Tag aushält, ist willkommen.
    Verschiedene Motive drängten zu dem Entschluss. Im Süden Sudans hatte eine kanadische Ärztin auf meine Frage, warum sie sich Bürgerkrieg und Malaria zumute, geantwortet: »Es wurde Zeit, dass ich etwas zurückgebe.« Diese Reaktion passt zu jemandem, der in einer Luxusnation wohnt. So eine leise, penetrante Stimme in uns kommt da zu Wort, die zum Teilen auffordert. Nicht gleich alles, aber etwas, das schon.
    Zweiter Beweggrund: schiere Dankbarkeit. Bin ich doch – wie viele andere – ein Davongekommener, einer, der nicht für jede Leichtsinnigkeit mit dem Tode bestraft wurde. Nicht gleich leiden und sterben musste für den erstbesten Akt von »unsafe sex«. Ein Glück, das mir so wenig zusteht wie dem Glücklosen sein Unheil.
    Drittens: Ich bin Reporter, sprich, ich nehme nicht ungern die Mühsal des Lebens auf mich, wenn ich dafür in Bereiche komme, die Intensität und Vehemenz versprechen. Sie dürfen mir ruhig zusetzen, aber am Ende will ich belohnt werden. Mit einem tieferen, einem reicheren Blick auf die Welt.
    Und noch ein Impuls ließ mich zurückkommen: mein Zynismus. Ich will wissen, ob sie hier noch immer mit dem Treibstoff arbeiten, den der leitende Abt damals erwähnte: »Compassion«, so eine buddhistische Ausgabe von Anteilnahme, von Anteil-Nehmen an einem, dem es dreckig geht. Oder ob die Entertainment-Nutten schon angeklopft haben. Damit aus dem Dritte-Welt-Laden endlich ein Geschäft wird, sagen wir, ein Big-Brother-Big-Aids -Format bereits im Gespräch ist:
    Wer röchelt am dramatischsten?
    Wer verreckt als erster?
    Welche Promi-Dumpfbacke kann am schnellsten auf ihre Würde verzichten?
    Wer kann noch ficken?
    Wer fliegt zuerst hinaus?
    Von alldem nichts. Als ich an einem Montagmorgen das Gelände betrete, hat sich an der Anmut nichts verändert. Das Kloster liegt noch immer am Fuß einer dicht bewaldeten Hügelkette, ein paar Kilometer außerhalb der Stadt Lopburi. Flachbauten mit hellgrünen Dächern stehen zwischen Akasia-Bäumen und Bougainvillea-Sträuchern. Von einem der Gipfel blickt eine weiße Buddhastatue. Ein Hund liegt in der Sonne, Vögel schwirren, von

Weitere Kostenlose Bücher