Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
sich Oy um Supanchai. Ich bekomme den Tag Schonfrist.
Am späten Nachmittag massiere ich Gampa, deren Körper zu einem großen Fötus geschmolzen ist. Sie ist vierundzwanzig und ihr Gesicht sieht aus wie vierzehn. »Sexworker«, steht in ihrer Akte, das Mädchen hat sich auf dem Straßenstrich den Virus geholt. Da Thai-Männer gern betrunken der schnellen Liebe nachgehen, scheint oft nicht der Wille vorhanden, nach einem Präservativ zu greifen. Ein Ring aus Schorf rahmt Gampas Gesicht. Schwarze Kruste wuchert über die Ohren, über die Wangen, kriecht unaufhaltsam Richtung Augen.
Nach der Stunde umarmt mich Gampa – ich denke aus Dankbarkeit – und drückt ihre Finger auf meinen Rücken. Verstanden: Schon dankbar, aber vorher wäre noch eine Rückenmassage fällig. Es wird die letzte in ihrem Leben. Nach dieser Nacht wird Gampa tot sein.
Fröhlicher nächster Vormittag. Mit Einblicken in schwärzesten Humor. Fünf Ladyboys sitzen zusammen und schminken einander, zupfen sich die Augenbrauen, tragen Lidschatten auf, stecken sich eine Blume hinters Ohr. Diese Sehnsucht nach Schönsein, sie macht zweifellos resistenter. Ich frage, ob in der vergangenen Nacht jemand gestorben sei. (Gampa hat noch zwei Stunden.) Nein, niemand. Dann zeigt Hamna, schon lachend, auf das offensichtlichste Wrack unter ihnen und sagt jubelnd: »Doch, er!«. Jetzt freudiges, krächzendes Gehüstel von allen, auch vom Wrack.
Im Laufe des frühen Abends singt jemand im Radio »Happy birthday to you«, und einer der Patienten schmettert: »Happy deathday to you!« Fürchterlich krank sein und noch immer geistreich, man kann nur staunen und lernen.
Gespräch mit dem fünfzigjährigen Abt Alongkot Tikkapanyo. Er verfügt wie stets über diese spektakuläre Konzentration. Er spricht, wenn er spricht, und er hört zu, wenn er zuhört. Die Geschichte dieses Klosters begann mit einer Niederlage: Der damalige Ingenieur wird von einer Frau verlassen und beschließt, sein Leben zu ruinieren. Er wird Säufer und fängt an, durch Bangkoks Bars zu wanken.
Da Tikkapanyo zu jenen Männern zählt, die ganze Sachen machen, setzt er sich grundsätzlich – nach den Touren – alkoholblöd ans Steuer seines Wagens. Er übersteht (leichtverletzt) vier Unfälle, nach dem fünften kommt er mit schwer verbeultem Körper in einem Krankenhaus-Bett zur Besinnung. Jetzt ist Zeit nachzudenken. Und er entscheidet sich wieder für einen radikalen Ausweg. Er zieht die orangefarbene Robe eines buddhistischen Mönchs über, will alles hergeben, will meditieren, will »sein Herz waschen«.
Knapp sechs Jahre, sagt er, saß er »friedlich allein« in einer Höhle, bettelte, kontemplierte, meditierte, versuchte zu vergessen. Und erinnerte sich eines Tages an das erste Gebot Buddhas, das Gebot des Mitgefühls, begreift, dass in einer Grotte hocken der Welt nicht weiterhilft. Er verlässt die Einsamkeit, wandert zurück nach Bangkok, geht in die Hospitäler und erzählt vom Wunder der Meditation und ihren phantastischen Nachwirkungen für alle, die leiden. Zufällig gerät er in einen stickigen Abstellraum, in dem seltsam entstellte Kranke siechen. Nie zuvor hat er das Wort »Aids« gehört. Als der erste dieser Verstoßenen in seinen Armen stirbt, reift ein Plan in ihm. Im Herbst 1991 zimmert er aus dem heruntergekommenen Tempel Prabat Nampu ein erstes Nothilfe-Lager. Andere Mönche kommen hinzu und helfen mit. Einige erliegen bald selbst dem hinterhältigen Erreger.
Mit acht Patienten fing es an, heute sind es zweihundert. Ein paar Tausend stehen auf der Warteliste. Wer noch gehen und selbst für sich sorgen kann, lebt in sauberen Baracken, mit Nasszelle und kleiner Veranda. Keiner wird hier gerettet, aber jeder soll eine Umgebung vorfinden, in der er in »Frieden und Würde« sterben kann. Nie hört man Tikkapanyo das Wort »Moral« aussprechen, nie ist Aids eine Strafe, immer nur ein Unglück. Auch züngelt er nicht versessen gegen Sex und Drogen. Wenn er mahnt, dann zu Umsicht und Hilfsbereitschaft. Das Unternehmen lebt von Spenden, seit Langem tingelt der Chef übers Land und appelliert an jedermanns Großzügigkeit. Begleitet wird er dabei von der »Aids-Band«, der wohl einzigen Musikgruppe der Welt, deren Mitglieder alle von der Immunschwäche befallen sind.
Der Abt zeigt noch ein paar Fotos von den Aktivitäten vor Ort. Am aberwitzigsten der Blick auf ein paar Männer, die mit Windeln um die Hüften und einem Sarg über den Schultern um die Wette stolpern. Um
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