Dies Herz, das dir gehoert
Davon ist nur geblieben, dass sie sich nicht voreinander schämen.
»Wer hat quittiert?«, fragt er leise.
»Blaschke«, sagt sie und setzt hinzu: »Blaschke kennt den Johannes nicht. Der Brief lag zwischen der andern Post der gnädigen Frau.«
»Hat ihn sonst einer gesehen?«
»Nein, ich habe die Mappe direkt aus seinem Büro geholt.«
»Gut«, sagt er. »Gut. Du bist immer tüchtig, Lola!«
Sie lächelt, ein halb verächtliches, halb ungeduldiges Lächeln. Sie weiß ja gut, was seine Lobsprüche wert sind: ein billiger Ersatz für Geldentschädigungen.
Er sitzt an seinem Schreibtisch, sieht von unten zu ihr auf. Er hat den Brief noch immer nicht genommen, den sie ihm hinhält. Aber er hat so im Sitzen die Adresse gelesen und mit dem Kopf genickt: sieh da, wirklich der Johannes!
Nun fragt er sich, was der Brief enthält. Er hätte nicht gedacht, dass der Bursche noch schriebe. Vielleicht ist dieser Brief eine Falle für den Bruder Thomas: Forderungen, ein Bericht über das nächtlich Gehörte, Dinge, die Antwort verlangen.
Aber vielleicht bringt der Brief auch das, worauf er so sehnlich gewartet hat: die vollkommene Sicherheit!
»Mach den Brief auf, Lola«, sagt er leise.
Sie zögert nur einen Augenblick. Dann nimmt sie das Papiermesser vom Schreibtisch und schneidet den Brief auf. Scheine kommen aus dem Brief. Und Schecks. Und ein Blatt Papier.
Sie legt die Scheine in einem Haufen vor ihn, die Schecks daneben. Aber als sie auch das Briefblatt hinlegen will, sagt er rasch: »Nein, lies ihn mir vor.«
Wieder zögert sie, und wieder gehorcht sie. Aber sie gehorcht nur halb. Sie entfaltet den Briefbogen und liest den Brief, liest leise für sich.
»Nun?«, fragt er.
Sie legt den Brief vor ihn hin. »Diesen Brief lese ich nicht vor«, sagt sie.
»Nein?«, fragt er mit ein ganz klein wenig Verwunderung. »Nun gut!«
Und er liest den vor ihm liegenden Brief selbst.
»Liebste Mutter«, liest er.« Verzeih mir, aber ich kann nicht zu Euch. Es wäre keine Heimkehr. Ich muss mir allein meine Heimat suchen, fern von Dir. Ich glaube, ich habe sie gefunden. Dein Hannes.«
»Wie rührend«, sagt er. Und mit einem Aufblick: »So etwas wirkt auf dich?«
»Ja«, sagt sie mit zornigem Trotz. »So etwas wirkt auf mich.«
Aber er beachtet sie gar nicht, er ist aufgeräumt, zufrieden. Der gute Junge, er schafft sich selbst aus dem Weg. Nun ist die Mutter vor ihm sicher. Sie kann kommen, reisen, in Hamburg bleiben – ganz gleich. Zeit wird vergehen, viel Zeit, schließlich wird sie ihn fast vergessen haben.
Er sieht wieder hoch. Die Augen seiner Sekretärin liegen mit einem seltsamen Ausdruck auf ihm.
»Was hast du?«, fragt er unwillkürlich.
»Was werden Sie mit dem Brief tun?«, fragt sie eindringlich dagegen.
»Ihn nicht meiner Mutter geben«, sagt er lächelnd. »Meine Mutter hat längst mit dem verbummelten Jungen abgeschlossen, das würde sie unnütz aufregen.«
»Da«, sagt er unwillkürlich und deutet mit ungewohnter Großmut auf das Häufchen Scheine. »Das ist für dich, Lola. Du bist ja doch die Tüchtigste!«
»Nein«, sagt sie sofort und wirft den Kopf in den Nacken. »Danke. Nein, dies Geld nicht!«
»Nein?«, fragt er. »Bist du denn abergläubisch, Lola? Es ist Geld wie alles andere. Es tut dir nichts.«
Und er rafft die Scheine zusammen und hält sie ihr hin.
»Nein«, sagt sie noch einmal. »Und übrigens möchte ich Ihnen sagen, dass ich zum Ersten gehe.«
»Du, Lola? Mach keinen Unsinn! Wie soll ich denn hier ohne dich zurechtkommen? Warum denn? Deswegen etwa?«
Und er deutet auf den Brief.
»Nein. Herr Wiebe. So empfindlich bin ich doch nichtmehr. Das habe ich mir hier bei Ihnen abgewöhnt. – Aber ich will heiraten.«
»Du willst heiraten?! Lola, mach doch keine Sachen! Wen willst du denn heiraten?«
»Doch«, sagt sie. »Sie ahnen nicht, wie ich mich hier ekle – vor alldem hier!« Sie sieht auf den Schreibtisch, auf die Hand, die fette Hand, die immer noch die Scheine hält. »Vor Ihnen, vor mir. Ich will retten, was noch zu retten ist!«
»Nun gut, Lola«, sagt er. »Jeder nach seinem Geschmack. Von dir hätte ich es nie gedacht, dass du noch einmal unter die büßenden Magdalenen gingest. Aber wie du denkst. Jedenfalls wirst du mir doch erlauben, dir zu deiner Hochzeit ein schönes Geschenk zu machen«, mit Ironie, »es braucht ja, wenn es dich stört, nicht von diesem Geld gekauft zu sein.«
»Ich will kein Geschenk von Ihnen!«, ruft sie. »Nichts will ich von Ihnen!
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