Diese eine Nacht mit dir
schlief, wurde Gypsy ganz schlecht.
In dem Moment betrat Mrs Wakefield den Salon und brachte Tee und Sandwichs. Gleichzeitig wachte Lola auf und kämpfte sich aus ihrem provisorischen Bett. Gypsy ging sofort zu ihr und hob sie hoch, damit sie nur ja nicht in die Nähe des gefährlichen Glastisches kam. Aber Lola wand sich wie ein Aal, kam frei und wackelte auf das riesige Fenster zu. Die umwerfende Aussicht schien sie zu faszinieren.
„Pieppiep!“, quietschte sie begeistert und deutete auf einen vorbeifliegenden Vogel.
Mrs Wakefield ging zu Lola, um mit ihr Freundschaft zu schließen. Die Kleine war sichtlich entzückt von ihr. Nachdem die Haushälterin einige Zeit dem ernsthaften, aber völlig unverständlichen Babygebrabbel gelauscht hatte, drehte sie sich zu Gypsy um. „Sie ist ein richtiger Sonnenschein, nicht wahr?“
Vielsagend verzog Gypsy das Gesicht. „Die meiste Zeit schon. Aber wehe, jemand kommt ihr zu nahe, wenn sie müde oder hungrig ist.“
Mrs Wakefield streckte dem kleinen Mädchen die Hand hin, und Lola ergriff sie voller Vertrauen. „Warum schauen wir uns nicht ein wenig die Wohnung an und lassen Mama und Mr Christofides in Ruhe ihren Tee trinken?“
Bevor Gypsy etwas dagegen einwenden konnte, marschierte Lola glücklich mit Mrs Wakefield hinaus. Es schien ihr gar nichts auszumachen, dass ihre Mutter zurückblieb. Gypsy war stolz auf ihre Tochter, denn das bewies ja nur, dass Lola ein glückliches, unbekümmertes Kind war. Trotzdem versetzte es ihr einen kleinen Stich.
Rico stand am großen Tisch und deutete einladend auf einen Stuhl. „Keine Angst“, meinte er spöttisch. „Sie wird sie schon nicht kidnappen.“
Gypsy zog wortlos ihren Mantel aus. Sie kochte innerlich und war sich nicht sicher, ob sie jetzt ruhig und vernünftig bleiben konnte.
Rico schenkte Tee ein und schob Gypsy den Teller mit Sandwichs zu. Immer noch dachte er über ihre erregten Worte nach. Irgendetwas verbarg sie tief in ihrem Innern. Vermutlich hatte sie das auch daran gehindert, ihm von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Aber was war es nur?
Im Geheimen beschloss er, sich in den nächsten Tagen einmal näher mit Gypsys Leben zu befassen. Dass er so gar nichts über die Mutter seines Kindes wusste, gefiel ihm nicht. Wenn er je ein Kind hätte haben wollen, hätte er sich als Mutter eine Frau mit kühlem, logischen Verstand ausgesucht. Die hätte dann bestimmt nicht in solchen Verhältnissen gelebt. Und das Kind wäre auch nicht ein Kind blinder Leidenschaft gewesen. Es ist aber ein Kind der Leidenschaft, dachte Rico und spürte dabei einen Knoten in seinem Magen.
Aber er besaß die Mittel, um die Sache unter Kontrolle zu bekommen. Um diese Frau unter Kontrolle zu bekommen. Er sah ihr zu, wie sie mit Genuss Sandwichs aß und fragte sich, wann sie wohl das letzte Mal etwas Richtiges gegessen hatte. Die schäbigen Klamotten hingen formlos an ihrer zierlichen Gestalt herunter, alles Weiche an ihr, an das er sich so gut erinnern konnte, war verschwunden. Allerdings minderte das nicht ihre Attraktivität. Und auch nicht sein Verlangen nach ihr.
Abrupt stand er auf und ging mit der Tasse in der Hand zum Fenster. Es gefiel ihm nicht, dass sie ihn so erregte. Und es gefiel ihm auch nicht, dass er sich sogar Sorgen machte, weil sie so dünn geworden war. Und ganz besonders gefiel ihm nicht, dass er bereit war, alles zu tun, um sie wieder aufzupäppeln.
Er drehte sich um und sah, dass sie ihn mit großen, wachsamen Augen beobachtete. Es war der gleiche Blick, mit dem Lola ihn angesehen hatte.
Sie hielt ihre Tasse mit beiden Händen. In ihrem Mundwinkel hing noch ein Brotkrümel. Die Haarmähne fiel ihr in wilden Kringeln auf die Schultern und erinnerte ihn an dieses Flair von Freiheit, das sie ihm bei ihrer ersten Begegnung vermittelt hatte. Diese Ausstrahlung hatte ihn magnetisch angezogen. Einen Augenblick lang war ihm der unangenehme Gedanke gekommen, dass sie vielleicht wirklich jemand war, den sein Reichtum nicht beeindrucken konnte.
Er riss sich zusammen. Lieber sollte er daran denken, was sie ihm angetan hatte. Das Schlimmste. Allerdings schien sie nicht hinter seinem Geld her zu sein, denn sie hatte ihm Lolas Geburt verschwiegen. In seinen Augen war sie deshalb um keinen Deut besser. Nein, eher noch schlimmer! Sie war eine Frau, die ohne Bedenken einen anderen Mann heiraten würde. Ohne auch nur einen Gedanken an die verheerenden Folgen zu verschwenden, würde sie diesen Mann ihre Tochter aufziehen
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