Diese eine Nacht mit dir
lassen, als wäre sie seine eigene.
Ihr unverwandter Blick weckte eine Mischung aus Betroffenheit und Trotz in ihm. „Du weißt hoffentlich, dass ich dir das nie verzeihen werde?“
6. KAPITEL
Du weißt hoffentlich, dass ich dir das nie verzeihen werde?
Die Worte gingen Gypsy nicht aus dem Kopf. Es war bereits spät in der Nacht, aber sie lag immer noch hellwach im Bett. Nebenbei gesagt war es das weichste Bett, das man sich vorstellen konnte. Nachdem Lola gefüttert, gebadet und mit frischen Windeln versorgt worden war, hatte es noch eine Ewigkeit gedauert, bis sie endlich in ihrem Bettchen lag. Die neue Umgebung war eben ein großes Abenteuer für sie. Dazu kam noch die viele Aufmerksamkeit, die Rico und Mrs Wakefield ihr schenkten. Lola hatte das Herz der Haushälterin im Sturm erobert. Die Frau war die Diskretion in Person. Nur manchmal wanderte ihr Blick verstohlen zwischen Rico und Lola hin und her.
Gypsy hatte zugeschaut, wie Lola durch die großen Räume tobte. Ihr war schmerzlich bewusst geworden, wie beengt sie doch in ihrem kleinen Apartment wohnten …
Mrs Wakefield hatte Gypsy alles gezeigt und sie dann in ein Schlafzimmer geführt. Neben dem breiten Bett stand bereits ein Kinderbettchen. Das angrenzende Ankleidezimmer war zu einem provisorischen Kinderzimmer umfunktioniert worden. Ein großzügiges Badezimmer vervollständigte die Suite. Ricos Räume waren sogar noch größer, wie ihr ein kurzer Blick verriet. Die Einrichtung entsprach allerdings mehr einem männlichen Geschmack.
Die Haushälterin zeigte ihr auch die Küche. Zu Gypsys Verblüffung enthielten die Regale und der Kühlschrank schon einen großen Vorrat an Babynahrung. Es gab sogar mehrere Babyfone!
Jetzt schlief die Kleine neben ihr. Gypsy konnte ihre tiefen, regelmäßigen Atemzüge hören. Sonst besaßen diese Laute etwas Tröstliches für sie, aber heute konnte sie nichts trösten. Seit ihrem Wiedersehen mit Rico lagen ihre Nerven blank. Und jetzt war sie gegen ihren Willen in dieser Wohnung eingesperrt. Es war eingetreten, wovor sie sich immer gefürchtet hatte. Rico hatte selbstherrlich beschlossen, über ihr und Lolas Leben zu bestimmen.
Im Geheimen musste sie zugeben, dass ihr Urteil nicht ganz gerecht war. Rico wollte sie zwar unter seiner Kontrolle haben. Aber anders als ihr Vater akzeptierte er Lola voll und ganz.
Nachdem sie ihre Tochter schlafen gelegt hatte, war sie in die Küche gegangen, um sich einen Kakao zu machen. Rico war ihr gefolgt. „Ich habe meinen Arzt gebeten, morgen früh vorbeizuschauen. Er wird von mir und Lola Abstriche nehmen“, hatte er ihr kühl mitgeteilt. „Noch in dieser Woche werde ich den Beweis für meine Vaterschaft haben.“
Er ließ ihr keine Zeit für eine Antwort, sondern fuhr fort: „Ich wüsste nicht, warum du in der Zwischenzeit nicht hier wohnen sollst. Wenn sich herausgestellt hat, dass ich Lolas Vater bin, werden wir als Erstes dafür sorgen, dass mein Name in die Geburtsurkunde eingetragen wird.“
Kühl verabschiedete er sich. „Wenn du mich entschuldigen würdest, auf mich wartet Arbeit. Ich nehme an, du kennst dich inzwischen hier aus?“
Eingeschüchtert konnte Gypsy nur nicken. „Mrs Wakefield ist mehr als hilfsbereit.“
„Gut.“ Wortlos verließ er die Küche.
Nach einer Weile hatte Gypsy Geräusche über das Babyfon gehört. Anscheinend war Rico bei Lola und beugte sich über sie. Zuerst hörte sie nur seinen Atem, dann einige gemurmelte Worte, die spanisch klangen. Unwillkürlich machte ihr Herz einen kleinen Sprung.
Aber was änderte es schon, wenn Rico sein eigen Fleisch und Blut anerkannte und nicht zurückstieß, wie ihr Vater es mit ihr getan hatte. Er würde seine Tochter nicht mehr hergeben. Und er würde Gypsy für das, was sie getan hatte, büßen lassen. Er würde sie genauso behandeln, wie ihr Vater ihre Mutter behandelt hatte.
Nachdem in Gypsys Fall das Sozialamt eingeschaltet worden war, musste ihr Vater sie als seine Tochter anerkennen. Allerdings sorgte er danach dafür, dass sie ihre Mutter nie wiedersah. Erst viel später fand Gypsy heraus, dass ihre Mutter wenige Jahre nach diesem entsetzlichen Tag in einer Nervenklinik gestorben war.
Gypsy hatte schon immer den Verdacht gehabt, dass es sich bei der Krankheit ihrer Mutter eigentlich nur um eine Depression handelte. Ihre Mutter war eine traurige, nicht sehr starke Frau gewesen. Vielleicht hätte sie nur ein wenig Unterstützung gebraucht.
Aber ihr Vater verdrängte sie rücksichtslos
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