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Diese eine Woche im November (German Edition)

Diese eine Woche im November (German Edition)

Titel: Diese eine Woche im November (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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Ausstellung nicht genießen. Die vielen Menschen, die klimatisierten Räume, Julia schlurfte lustlos neben ihm her und beantwortete Nachrichten ihrer Düsseldorfer Freundinnen auf dem Handy. Was für eine Schnapsidee, seine Teenagertochter auf den Trip mitzunehmen. Herbert bereut es. Allein könnte er in Venedig mehr ausrichten.
    » Lass uns hierbleiben « , versucht er es väterlich. » Ist doch gemütlich im Hotel. «
    Ungläubig sieht sie ihn an. » Ich bin nicht in Venedig, um abends auf dem Zimmer zu hocken. «
    » Julia, bitte! Mir zerspringt der Kopf. «
    » Dann nimm eine Tablette. « Sie läuft zum Fenster.
    Herbert betrachtet seine Zehen in den weißen Socken. Natürlich will sie ausgehen. Und natürlich nicht mit ihrem alten Herren, dem Kontrollfreak. Trotzdem kann man eine Fünfzehnjährige nachts nicht ohne Begleitung losziehen lassen. Hat der Vormittag es nicht bewiesen? Zum ersten Mal allein unterwegs, fiel sie sofort in die Hände von Dieben. Das Geld war weg, Herberts Kreditkarte war weg, und dann – aus heiterem Himmel – Glück im Unglück. Der Hauptkommissar kann die Sache mit dem ehrlichen Finder kaum glauben. Ein junger Mann taucht auf, ein selbstloser Held, und zwingt die Taschendiebin, ihre Beute wieder rauszurücken. Er geht so weit, das gestohlene Bargeld aus eigener Tasche zu ersetzen! Man müsste Julias Retter danken. Herbert setzt sich auf.
    » Weißt du, wie er heißt? «
    » Wer? « Mürrisch starrt sie aus dem Fenster.
    » Der Venezianer, der so nett zu dir war. «
    Julia kann sich nicht erinnern. Hat er seinen Namen überhaupt erwähnt? » Toto, glaube ich. Ja. Er sagte, er heißt Toto. «
    » Es wäre recht und billig, Toto zu danken. « Herbert greift zur Wasserflasche. » Er verdient einen Finderlohn. «
    Julia mustert den schlappen Vater, die zerwühlte Bettwäsche, die weißen Socken. Ich muss hier raus, denkt sie und öffnet die Balkontür.
    » Lass die Schnaken nicht herein « , sagt Herbert.
    » Schnaken im November? «
    Genervt lehnt sie sich über die Brüstung. Da unten liegt der kleine Platz. Wo man hinschaut, vergnügte Menschen. Eingehängte Paare schlendern durch den Abend, eine Gruppe von Freundinnen lacht. Alte Männer in Pullovern und Anoraks sitzen vor der Bar. Wäre es nicht cool, sich einfach unters Volk zu mischen? Ich hätte es wissen müssen, denkt Julia: Eine Vergnügungsreise mit Papa, das kann nur schiefgehen. Das Wort Fun kommt in seinem Vokabular nicht vor. Missmutig will sie wieder hinein, da fällt ihr eine schmale Silhouette am anderen Ende des Platzes auf. Sie kneift die Augen zusammen. Unmöglich. Solche Zufälle gibt es im richtigen Leben nicht.
    » Da ist er! « , ruft sie überrascht.
    » Wer? « , fragt Herbert von drinnen.
    Tonio steht dort unten. Steht an der Ecke, wo er das Hotel gut im Blick hat. Was ist daran so ungewöhnlich: Das Mädchen heißt Julia, liegt es da nicht nahe, dass Romeo unter ihrem Balkon schmachtet? Tonio schmachtet nicht, er friert. Eine geschlagene Stunde steht er schon da und befolgt den Rat Rinaldos. Ein guter Rat, ein praktischer: Tonio soll so lange vor ihrem Hotel ausharren, bis sie herauskommt. Alles Weitere ergibt sich dann von selbst.
    Seit er auf der Piazza ankam, mustert er die Fenster. Die dunklen, die hellen, irgendwo dahinter könnte sie stecken. Eben ging die Balkontür auf, der einzige Balkon im Don Giovanni, und sie kam heraus! Tonio friert nicht mehr, ihm ist heiß. Er weiß gar nicht, wie ihm ist.
    » Hey, du! « , ruft jemand.
    Mehrere Köpfe schauen hoch.
    » Hey, Toto! «
    Julia ruft. Wen ruft sie? Wer ist dieser Toto? Tonio schaut nach rechts, nach links und hinter sich.
    » Ja, du! « Sie winkt in seine Richtung.
    Vorsichtig hebt er den Arm.
    » Dich meine ich! « Sie kümmert sich nicht darum, dass schon der halbe Platz zu ihrem Fenster hochschaut, sie winkt fröhlich, sie winkt ihm!
    Keine Sekunde länger hält es Tonio. Er springt, er sprintet, er fliegt auf das Don Giovanni zu.
    » Noch einmal so jung sein « , sagt ein Weißhaariger zu den anderen Weißhaarigen vor der Bar.
    Erwartungsvoll wie ein junger Hund starrt Tonio zu ihrem Balkon hinauf. Was soll er sagen, wie soll er sie begrüßen?
    Julia nimmt ihm die Sache ab. » Ich bin’s. Weißt du noch, die Brieftasche? «
    Er ist zu sehr geplättet, als dass ihm die passende Antwort einfallen würde.
    » Was für ein Zufall! « Sie lacht. » Venedig ist echt ein Dorf. «
    Mit Zufall hat das wenig zu tun, denkt Tonio. Eine Menge Vorbereitung

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