Diese Sehnsucht in meinem Herzen
gerichtet: „Kannst du die Vergangenheit denn nicht loslassen, Nate? Es ist doch alles vorbei, schon seit Jahren. Dad kann uns jetzt nichts mehr antun.“
„Da irrst du dich. Dad ist zwar nicht hier, aber wir sind immer noch sein Fleisch und Blut. Und im Kern sind wir genau wie er. Wir glauben vielleicht, dass wir anders sind, aber das stimmt nicht.“
„Das ist doch Quatsch, Nate, wir sind ganz anders als er, deswegen sind wir doch weggelaufen. Ja, er war ein schrecklicher Mensch, aber er war er, und ich bin ich, und ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Ich will ein guter Mensch sein, und das kann ich auch. Genau wie du. Nun steh dir und deinem Leben doch nicht im Weg. Natürlich verdienst du eine Frau, eine Familie…“
„Hör bitte auf damit, ich hab jetzt genug von dem Thema. Vielleicht solltest du den Studiengang wechseln und dich für Psychologie einschreiben statt für Journalismus, die Seelenklempnerei scheint dich ja sehr zu interessieren.“
Nun wandte Derek sich seinem Bruder zu, und seine Stimme klang eindringlicher, entschlossener. „Nate, du bist nicht wie Dad“, wiederholte er. „Merkst du denn gar nicht, was du da mit dir machst? Du stehst dir selbst im Weg. Dir und Josey.“
Nate konnte sich kaum dazu bringen, in die Augen des einzigen Menschen zu schauen, der das Gleiche erlebt hatte wie er selbst. Er seufzte und ging dann langsam wieder zurück zum Weg. Einige Minuten lang liefen die Brüder schweigend nebeneinanderher, dann sagte Nate schließlich: „Du hast Recht.
Wahrscheinlich bin ich wirklich neidisch auf Josey, weil sie sich ihren Traum erfüllen will. Und es ist ja auch ein ganz normaler Traum, bloß bin ich neidisch, weil so etwas für mich nie möglich sein wird.“
„Das habe ich aber nicht gemeint, als ich sagte, dass du dir und Josey im Weg stehst.“
Inzwischen waren sie an der Haltestelle der U-Bahn angekommen, und Nate suchte in seiner Tasche nach dem passenden Kleingeld. „Was hast du dann gemeint?“
„Ich meinte, dass du und Josey…“ Derek brach ab. „Ach, egal. Mach’s ihr einfach nicht so schwer. Du hast es doch selbst gesagt: Es ist ganz normal, dass sie eine Familie gründen will, da brauchst du sie nun wirklich nicht mit deinen Bedenken zu nerven.“
„So, wie ich das bei dir immer tue?“
„Ich bin schließlich dein Bruder, ich muss damit klarkommen.“
Nate wandte sich zum Bahnsteig. „Ich komme dann am Donnerstag wieder bei dir vorbei.“
„Ja, ich weiß.“ Und obwohl Derek sich schon ein paar Schritte entfernt hatte, konnte Nate ganz genau hören, was er danach noch leise vor sich hinmurmelte: „Gewohnheitstier!“
Josey saß gerade am Lehrerpult ihres Klassenzimmers und korrigierte Mathematikarbeiten, als sie Schritte auf dem Korridor hörte, die immer näher kamen. Das konnte keine ihrer Kolleginnen sein, denn die Person, die gerade den Flur herunterkam, ging langsamer und auf leiseren Sohlen. Das muss ein Mann sein, dachte sich Josey und beschäftigte sich weiter mit dem Aufgabenblatt, das sie gerade durchsah.
„Hi“, sagte plötzlich jemand in den Raum, und Josey zuckte zusammen. Sie fuhr herum und erblickte Nate, der im Türrahmen lehnte. Sie atmete einmal tief durch, dann bückte sie sich, um den roten Korrekturstift vom Boden aufzuheben, den sie hatte fallen lassen.
„Nate!“ rief sie aus. „Du hast mich zu Tode erschreckt. Musst du dich hier so reinschleichen?“
„Entschuldigen Sie, Frau Lehrerin“, sagte er und machte dabei den Tonfall eines kleinlauten Schülers nach.
„Das reicht jetzt“, erwiderte Josey knapp. „Du stellst dich sofort in die Ecke.“
Nate machte zunächst Anstalten, sich tatsächlich dorthin zu bewegen, dann hielt er inne. „Stellst du deine Schüler tatsächlich in die Ecke, wenn sie sich nicht anständig benehmen?“
„Normalerweise finde ich etwas kreativere Lösungen“, erwiderte Josey.
„Zum Beispiel?“
„Na ja, wenn ich dich etwa dabei erwische, dass du einen Zettel weitergibst, hefte ich das Briefchen hier in der Klasse an die Pinnwand, so dass es jeder lesen kann.“
„Nicht schlecht.“
„Und falls ich dich beim Kaugummikauen ertappe, musst du dir das Zeug auf die Nase kleben.“
„Igitt.“
„Tja, und wenn ich schließlich mitbekomme, dass du schummelst, lass ich dich einen Aufsatz darüber verfassen, wie genial der Schüler ist, von dem du abschreiben wolltest.“
„Wow. Damals wärst du meine Horrorlehrerin gewesen. Ich hab das nämlich alles gemacht. Nur
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