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Sie gingen auf Konzerte, ins Restaurant, auf den Weihnachtsmarkt. »Wir waren verliebt wie Teenager«, erinnert sich Clara. Doch manchmal machte Paul eine emotionale Vollbremsung, wurde stumm, seine Zuneigung ging »von 200 auf 0«, so kam es ihr zumindest vor. War das die Wendung, die ihre Liebeskomödie zu einem Drama werden ließ?
Clara glaubte zu wissen, warum Paul sich so verhielt. Er war erst 29, Clara 34, als sie sich kennenlernten. Er wusste, dass er, wenn es mit Clara etwas Ernstes ist, sehr schnell entscheiden musste, ob er sich vorstellen kann, mit ihr eine Familie zu gründen.
»In den ersten Wochen sah ich ihn echt ringen mit sich und fühlte mich machtlos. Hätte er meine Figur nicht gemocht, meine Klamotten oder meine Wohnung – an allem kann man heutzutage etwas ändern. Aber gegen mein Alter konnte ich nichts machen.« In Fuschl am See schließlich, beim Skifahren über Silvester, machten sie es fix. Paul wollte sich darauf einlassen, er sagte das ganz offiziell. Zu schön waren die vergangenen Wochen mit Clara gewesen.
Zwei Jahre später fuhren sie wieder zum Skifahren. Am 2. 2. 2012 organisierte Paul eine Pferdekutsche mit dicken Fellen, er hat Champagner dabei und einen Verlobungsring. Was für ein Happy End! Kein Wunder, dass solche Geschichten in den Anekdotenschatz von Großstädtern übergehen.
»Dass es dich gibt!« – Online-Dating als Chance für Minderheiten
Als Chris Anderson, der Chefredakteur der amerikanischen Zeitschrift Wired, 2004 erst in einem Artikel, wenig später in einem Buch die Theorie vom Long Tail , vom »langen Ende«, aufstellte, da hatte er vor allem seltene Platten und vergriffene Bücher im Sinn. »Nischenprodukte statt Massenmarkt« lautet der Untertitel seines Buchs. Darin beschreibt er, wie das Internet die moderne Warenwelt verändert hat, indem Versandhändler mit riesigen Lagerhäusern auf der grünen Wiese plötzlich auch selten gekaufte Produkte anbieten konnten – schlicht, weil es sie kaum etwas kostete, diese Produkte zu lagern und online auf sie hinzuweisen. Weil dagegen in einem städtischen Buchladen jeder Regalmeter Miete und Lagerkosten bedeutet, kann sich der Händler nur leisten, Bücher im Angebot zu haben, die sich auch verkaufen, überspitzt gesagt: die SPIEGEL -Bestseller-Liste.
Anderson zufolge kann man sich das »lange Ende« der Produkte in dieser neuen Warenwelt wie einen Graph in einem Koordinatensystem vorstellen, der wie ein Herzschlag mit einer langen Nulllinie aussieht. Der höchste Punkt des Graphs sind Verkaufsschlager, Bestseller wie Hape Kerkelings »Ich bin dann mal weg« oder Songs von Madonna. Der Graph verjüngt sich gegen unendlich auf der x-Achse – es ist die Darstellung der unzähligen Produkte, die nur wenige Male gekauft werden. Andersons These: Die Käufe von Nischenprodukten (Bücher wie »Schnitzen mit der Kettensäge« oder das Album der finnischen Blechbläserband) sorgen zusammengenommen trotzdem für einen gigantischen Umsatz. Schließlich gibt es für nahezu jedes Produkt einen Käufer – es braucht nur einen Marktplatz, der Anbieter und Interessenten zusammenführt: Internet-Plattformen wie Amazon, eBay oder iTunes.
Auch auf Partnersuchende trifft die Long-Tail-Theorie zu. Schon im ersten Kapitel habe ich erwähnt, dass Online-Dating zunächst vor allem von gesellschaftlichen Gruppen aufgenommen wurde, für die es nur einen sehr kleinen Markt an verfügbaren Partnern gab. Auf keine Gruppe trifft dies so zu wie auf Homosexuelle. Sie waren die Pioniere des Online-Datings. In keiner Bevölkerungsgruppe ist Online-Dating so verbreitet wie unter Schwulen: In den USA entstehen heute 61 Prozent aller homosexuellen Beziehungen im Internet, in Deutschland sind die Zahlen ähnlich hoch, glaubt man einer Umfrage der größten deutschen Schwulencommunity Gayromeo.
Lars Köster, ein befreundeter Journalist, ist wie alle Homosexuellen, die ich kenne, dort angemeldet. An einem frühlingshaften Abend im März klicken wir uns durch sein Profil. Das »schwule Einwohnermeldeamt«, wie Gayromeo auch genannt wird, wurde 2002 von den zwei Berlinern Jens Schmidt und Manuel Abraham gegründet. Mit rund 1,3 Millionen Mitgliedern ist es das größte deutschsprachige Portal und laut Eigendefinition »ein Ort für Freundschaften, Verabredungen, Sex, Ideenaustausch und gegenseitige Unterstützung«. Auch weil es aus der Szene heraus entstanden ist und die Basis-Mitgliedschaft bis heute nichts kostet, haben kostenpflichtige
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