Dieser eine Moment (German Edition)
in Popcornbechern, Cola, die durch Strohhalme gesaugt wird. Geräusche, die jede Magie zerstören.
Der Kinosaal ist wie ein Schlund. Sie haben Plätze in der Mitte. Laura legt den Kopf an seine Schulter, ihre Finger gleiten über seine Hand. Er fühlt sich ausgeliefert. Als wäre sein Kopf eine schutzlose Hülle, die von den Gedanken der anderen erobert wird. Eine Müllhalde fremder Sätze und Gefühle, kein Ort mehr für Eigenes.
Der Film ist eine Liebesgeschichte. Die Kamera fliegt über Atlantikwellen, streift graue Felsen am Ufer, verharrt auf einem idyllischen kleinen Hafen. Indian Summer an der amerikanischen Ostküste, die Blätter an den Bäumen haben sich rötlich verfärbt. Diane, Erbin einer traditionsreichen, aber bankrotten Werft für Holzjachten, trifft Frank, einen reichen Unternehmer, der den Betrieb übernehmen will, um unter dem ehrwürdigen alten Namen seelenlose Kunststoffjachten produzieren zu lassen. An seiner Seite die scheinheilige Maggie, mit der er verlobt ist. An Dianes Seite der herzensgute Tom, der sie heimlich liebt.
Verstohlen betrachtet er Laura. Ihre Stirn, ihre Nase, ihre Wangen. Das Licht von der Leinwand lässt ihre Augen leuchten.
Zwei zusammengeschobene Strandkörbe am Meer, ihr Schweiß, der sich mit seinem mischte, seine Finger auf ihrer Haut, rot schimmernd in der sinkenden Sonne. Erinnerungsfetzen, die wirklicher sind als der Film vor ihm. Dann, wie aus dem Nichts, Catrin, die sich wie ein Schatten zwischen Laura und die Sonne schiebt und ihn durchbohrt mit leeren Augen.
»Ist sie nicht süß?«, flüstert Laura.
»Wer?«
»Diane.«
»Ach so.«
»Pscht!«, zischt die Frau neben ihm und greift in ihren Popcornbecher.
Laura kichert und zieht die Augenbrauen hoch. Sie legt die Hände um ihre Knie, lehnt sich an seine Schulter.
Diane verliebt sich in Frank. Die eifersüchtige Maggie spinnt eine Intrige. Diane glaubt sich von Frank betrogen und verspricht Tom die Ehe. Frank findet heraus, dass seine Verlobte nur hinter seinem Geld her ist. Er schmeißt sie raus und macht die Werftübernahme rückgängig. Diane soll weiter Holzjachten bauen, so wie ihr Vater das wollte. Treue sich selbst gegenüber ist das Einzige, was zählt.
Als Diane neben Tom zum Traualtar schreitet und der Pfarrer fragt, ob jemand Einwände gegen die Ehe der beiden erheben will, taucht Frank in der Kirche auf. Diane ist hin-und hergerissen. Genau wie der Pfarrer, der nicht weiß, wen er hier eigentlich trauen soll. Tom spürt, dass Dianes Liebe zu Frank stärker ist als ihre Gefühle ihm gegenüber. Selbstlos gibt er sie frei. Mit einer Holzjacht segeln Diane und Frank auf den spätsommerlichen Atlantik hinaus, wo sie ihm die Stelle zeigt, an der sie die Asche ihres Vaters verstreut hat. Ein Blick, ein Kuss, Abspann.
Die eigentlichen Geschichten beginnen immer erst nach dem Happy End, denkt Jan. Wenn die Helden vom Alltag eingeholt werden. Wenn sie in einem Haus in einer Neubausiedlung am Stadtrand leben und sich streiten. Und nebenan im Kinderzimmer ein kleiner Junge im Bett liegt und nicht begreifen kann, was seinen Vater so aufgebracht hat. Und seine Mutter sich dafür entscheidet, das kleine Mädchen, das in ihrem Bauch heranwächst, nicht abtreiben zu lassen.
»Glaubst du an Vorbestimmung?«, fragt Laura, während sie im Strom der Zuschauer das Kino verlassen.
»Vorbestimmung?«
»Die wahre Liebe. Glaubst du dran oder nicht?«
»Ich weiß nicht«, sagt er. Es ist kalt draußen, er fühlt sich elend. Er wäre am liebsten allein.
»Er hat dir also nicht gefallen«, sagt sie.
»Wer?«
»Der Film.«
Die Enttäuschung in ihrer Stimme ist unüberhörbar. Er könnte jetzt so tun, als hätte ihn die Geschichte bewegt, oder wenigstens die Landschaft. Er könnte sagen: Wie wunderbar, dass es noch Menschen gibt, die Segelboote aus Holz bauen statt aus Kunststoff. Er könnte es für sie sagen. Um ihr eine Freude zu machen. Stattdessen weicht er aus.
»Wie kommst du darauf?«
»Sieht man dir an«, sagt sie.
Manchmal ist es besser zu lügen, denkt er, oder einfach zu schweigen.
»Tut mir leid«, sagt er.
»Muss dir nicht leidtun«, sagt sie. »Ist eben so.«
Sie ist so voller Sehnsucht wie der Film voller Lügen. Abziehbilder, die nichts mit Liebe zu tun haben. Genauso wenig wie die Sprüche der anderen im Betrieb ...
»Stimmt das, was man so hört?«, fragt Malte, der dreimal in der Woche ins Fitnessstudio geht und sich regelmäßig die Brust enthaart.
»Was hört man denn so?«, fragt Jan
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