Dieser graue Geist
liebe und vermisse euch alle, doch diese Mission wiegt schwerer als meine Rückkehr nach Andor und unser Shelthreth . Ich hoffe, dass der Tag kommt, an dem ihr meine Entscheidung versteht und mir vergeben könnt. Auch wenn es egoistisch scheinen mag, handele ich zum Wohle unseres gesamten Volkes. Denn unser momentaner Kurs führt zu nichts, sondern schiebt nur das Unvermeidliche vor sich her. Wenn wir unserem Schicksal entkommen wollen, müssen wir uns neue Möglichkeiten erschließen. Und wenn die Wenigen nicht bereit sind, Opfer für die Gemeinschaft zu bringen … Da ihr mit mir kompatibel seid, gehört ihr leider zu diesen Wenigen. Ihr habt euch diese Situation nicht ausgesucht, und das tut mir leid.
In den ersten Wochen ihrer Mission hatte Shar beobachtet, wie sich Vaughn und dessen Tochter, Ensign Tenmei, nach Jahren der Entfremdung einander angenähert hatten. Shar fragte sich, ob ihm eines Tages eine ähnliche Aufgabe bevorstand.
Seit Jahren lebte er fern von seinen Partnern und war es gewöhnt, mittels Subraumbotschaften mit ihnen zu kommunizieren. Urlaub von der Ausbildung beziehungsweise der Arbeit war selten. Daher hatte Shar den Kontakt zu seinen Bündnispartnern stets als Priorität betrachtet, wohin sein Dienst bei der Sternenflotte ihn auch immer verschlagen hatte. Doch als er an diesem Morgen nach den richtigen Worten gesucht hatte, um seinen Liebsten seine Gedanken mitzuteilen, waren ihm keine eingefallen.
Dizheis Pflichten als Lehrerin hielten sie auf Andor, doch Anichent und Thriss hatten ihre Heimat längst aus privaten und beruflichen Gründen verlassen. Anichents Forschungs- und Vortragsreisen hatten es ihm erlaubt, Shar auf der Akademie zu besuchen. Thriss war regelmäßig mit ihrer Zhavey von Andor nach Betazed gereist, an dessen Hochschule diese Gastprofessorin für andorianische Kunst war. Dreimal hatte Thriss diese Touren genutzt, um Shar übers Wochenende zu sehen. Noch in den dunkelsten Stunden des Krieges hatten ihre Besuche ihm die Kraft gegeben, trotz der vielen Verluste, die die Flotte erlitt, weiterzumachen. Ihrem Traum von einer friedlicheren Zukunft entsprang sein Antrieb, aus jeder Schicht das Beste zu machen und nicht zu verzweifeln, wenn sich auf den Listen der Gefallenen wieder Namen von Freunden und Kollegen fanden.
Verdammt, Zhavey ! Ich hatte mich damit abgefunden, sie erst nach meiner Rückkehr aus dem Gamma-Quadranten wiederzusehen. Ich war darauf vorbereitet, es noch ein paar Monate auszuhalten, bevor ich zum Shelthreth reisen würde. Aber du vertrautest mir nicht genug, um diese Entscheidung nicht zu hinterfragen.
Thriss hätte diese Reise vermutlich am meisten geschätzt. Neue Erfahrungen schreckten sie nicht. Sie lebte im Risiko und stürzte sich selbst dann noch ins Unbekannte, wenn sich alle anderen bereits unter ihren Bettdecken versteckten. Schon als Kind war ihr keine Mutprobe zu groß gewesen, und auch wenn sie ihr Weg bereits mehrmals in Krankenhäuser und vor den Richtertisch geführt hatte, blieb ihre Leidenschaft fürs Risiko ungetrübt. Thriss steckte voller Überraschungen.
Shar entsann sich der Gesichtsausdrücke seiner Partner, als Charivretha seine Rückkehr nach Andor verlangt hatte.
Die allzeit optimistische Dizhei hatte fröhlich wirken wollen, ihre wahren Gefühle aber mit dem betrübten Blick und dem zu strahlenden Lächeln verraten. Anichents Schweigen hatte Shar enttäuscht. Nach all den Jahren hatte Shar geglaubt, er müsse seinen Drang, sich dieser Mission anzuschließen, verstehen – vielleicht sogar eher als Thriss. Anichent war Shars erste Liebe gewesen und hatte seine akademischen Ambitionen von Anfang an unterstützt. Hatte nicht genau dieser pragmatische, methodisch vorgehende Anichent ihm einst ausgemalt, welche Opfer Shar auf seinem gewählten Lebensweg würde bringen müssen? Und doch hatte er bei ihrer letzten Begegnung kaum ein Wort gesagt.
Und Thriss …
Wie viele schlaflose Nächte hatten sie auf dem Rücken gelegen, die Sterne an Andors Nachthimmel betrachtet und dabei über ihre Ziele und Träume gesprochen? Seine Luftschlösser hatten gar nicht so absurd geklungen, wenn sie ihre Lippen an sein Ohr gelegt und ihm Zuversicht eingeflüstert hatte. Thriss hatte seine Entscheidungen stets verteidigt, mehr als die anderen – sogar wenn sie darunter leiden musste. Nach allem, was sie gemeinsam durchlebt hatten, nachdem er sich ihrem grenzenlosen Geist geöffnet und in ihm sein Sehnen nach einer besseren Zukunft gespiegelt
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