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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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den kleinen Nager, der bereits an einem Ende des Käfigs hin und her rannte. Die Boa hob den großen Kopf, züngelte, entrollte den ersten halben Meter ihres zweieinhalb Meter langen Körpers und löste das Scharnier ihres Kiefers, um das schnurrbärtige Mittagsmahl besser verschlingen zu können. In den einfachen Bewegungen der Boa lag so viel lässige Bedrohlichkeit, daß Cal anfing, die Situation vom Standpunkt der Maus aus zu betrachten. Potenziertes Entsetzen. Terror hoch drei.
    »Mein Gott. Ich weiß nicht, wie Sie das fertigbringen, Mr. Kemmings.«
    »›Mein bester Quetscher‹ ist darauf angewiesen. Wenn ich es nicht täte, würde er sterben.«
    »Könnte Quetscher nicht auch mit Joghurt oder grünen Erbsen oder so was über die Runden kommen?«
    »Das bezweifle ich ernsthaft.«
    »Selbst Hundefutter aus der Dose wäre besser als das hier.«
    »Für Sie, Pickford. Nicht für Quetscher.«
    Mr. K. versperrte Cal regelrecht den Rückzug, und das Nagetierchen, am ganzen Leibe von der Schnauze bis zur Schwanzspitze zitternd, stand vor der Boa auf drei Beinen, eine Vorderpfote angehoben, und die steinharten roten Äuglein glitzerten wie angerissene Streichholzköpfe. Der Quetscher schwankte cool mit dem vorderen Teil seiner Körperlänge und hypnotisierte Micky. Entweder war es das oder ein eingebauter Abwehrmechanismus – eine uralte, im Krisenfall aktivierte Barmherzigkeit der Gene –, jedenfalls war die Maus hypnotisiert.
    Cals eigene Furcht war jetzt beinahe greifbar. »Mr. Kemmings …«
    »Wieso haben wir kein Mitleid mit Tieren, die kriechen? Wir stigmatisieren sie als böse. Wir allegorisieren sie als Werkzeuge des Satans. Und dann verunglimpfen wir sie, weil sie sich verhalten, wie die Natur es ihnen aufträgt.«
    »Aber es riecht nichts so übelkeitserregend wie eine Schlange, Mr. Kemmings.«
    »An einen Geruch kann man sich gewöhnen, Pickford.«
    »Vielleicht. Aber lieber lasse ich mich jederzeit ins Affenhaus sperren. Da riecht es auch streng, aber doch wenigstens nach Säugetieren.«
    »Und was da aus Ihnen spricht, ist ein provinzielles Vorurteil, aber keine Vernunft.«
    Cal schaute zu Boden, auf das regellose Muster der Fliesen. Er wußte, daß ›Mein bester Quetscher‹ Micky gepackt hatte und verschlang – die dumpfen Schläge an der Glaswand hatten es ihm gesagt –, und er hatte kein Verlangen danach, zu sehen, wie die Schlange die Maus peristaltisch zermalmte, während sie den gelähmten Klumpen in ihren Verdauungstrakt hinunterwürgte.
    »Der Quetscher benimmt sich ganz plangemäß. Er braucht Frischfleisch. Sonst wird er schmächtig, rollt sich zusammen und stirbt. Ein Tier zu hassen, weil es sich benimmt, wie es seiner Geburt entspricht, ist idiotisch. Damit erniedrigt man sich selbst ebenso wie das Objekt seiner Verachtung. Man muß über derartige Gefühle hinauswachsen und Empathie für ein natürliches Verhalten entwickeln, das man einst als niedrig oder abscheulich empfand. Der Quetscher fügt der Welt nicht nach seinem willkürlichen Belieben Schaden zu. In gewisser Hinsicht ist er ein vorbildlicher Bewohner unseres vergänglichen Büßertals: Er bewegt sich nur, wenn der Hunger ihn verlockt, sich zu bewegen. Die übrige Zeit verbringt er schlummernd; er tut niemandem etwas Böses und träumt von … tja, wer kann das sagen?«
    »Und die Mäuse, die er ermordet, wenn er wach ist?«
    »Die dienen zumindest einem guten Zweck. Sie sterben, um neues Leben zu ermöglichen – nur so kann man es sehen.«
    »Wenn man sich für schuppiges, schlangenhaftes Leben begeistern kann.«
    Mr. K. mußte wider Willen leise lachen. »Sie sind ein unverbesserlicher Schlangenhasser, Pickford. Ich habe Ihnen mit meiner Kampagne für die Tiere ein Loch in den Bauch geredet, und Sie haben Ihre frühe Mittagspause versäumt. Den letzten ›Bären‹-Käfig können Sie sich vornehmen, wenn Sie gegessen haben. Machen Sie eine Stunde Pause.«
    Aber Cal lehnte ab; er erklärte, sein Mäuse-Sandwich – okay, sein Chicken-MacFilet – werde ihm sehr viel besser schmecken, wenn er zu Ende gebracht hätte, was er angefangen hatte. Mit diesen Worten wandte er sich wieder dem zu, was er zu tun hatte, und überließ es Mr. K., ein zweites Opfer für den Quetscher herauszufischen, derweil die Boa in gutmütiger Erwartung des Desserts die Zunge hervorschnellen ließ.
     
    Die köteldurchsetzten, pipigetränkten Zedernspäne kamen in einen Dempsy-Container hinter der Tierhandlung. Cal trug das Zeug in einem alten

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