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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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subtilen Seitenhieb unter: »Fröhliche Ostern, Miss Rennet und Master Bryerly.« Die versteckte Implikation – die sie wahrscheinlich noch nicht einmal bemerkt hatten – war die, daß bekennende Christen sich liebevoller benehmen sollten, als Miss Rennet es getan hatte. Morgen war der vorgebliche Jahrestag der Auferstehung ihres Erlösers, aber sie benahm sich nicht, als sei ihr Glaube an dieses fragwürdige historische Ereignis besonders tief. Möglicherweise glaubte sie gar nicht daran; infolgedessen hatte sein Seitenhieb sie gar nicht getroffen.
    Sie zerrte den erschrockenen Bryerly von Loans Schreibtisch weg, während der Junge sich noch bemühte, irgendwelche Hefte in seine Tasche zu stopfen. Begleitet von Ngo Pham Lan und dem größeren Geheimdienstmann segelten Mutter und Sohn zum Werkstor hinaus und nahmen Kurs auf das Ho Chi Minh-Hilton.
    Berthold entschuldigte sich für das Benehmen seiner Frau (»Sie leidet schrecklich unter dem Jet-Lag «), dankte Loan überschwenglich für den Rundgang (»Hat mir wirklich die Augen geöffnet«) und setzte sich hin, um das ausgedruckte Makrofaksimile eines Nanocomputerprogramms für die Bottichherstellung eines Kommunikationssatelliten aus dem Protein in Reiskleie und Wasserbüffeldung zu lesen (»Diese Art von schadstofffreier Produktion könnte sehr wohl die Rettung für unseren Planeten bedeuten«). Der Überschwang des ›Sicherheitsberaters‹ hatte eine belebende Wirkung auf Loan, und der Besuch der Amerikaner war ihm sehr viel angenehmer, als Bertholt sich schließlich verabschiedete.
    Wieder allein, setzte Thi Boi Loan sich an seinen Schreibtisch, um festzustellen, welche Bottiche vor dem Morgengrauen ihr Produkt fertiggestellt haben würden. Sein Fuß glitt über etwas Fremdes. Er bückte sich, hob den Gegenstand auf und stellte fest, daß es ein Comic-Heft war.
    Dekadente kapitalistische Phantasien für Kinder. Ein Superheld in einem komischen Anzug. Reihenweise aktionsstrotzende Bildchen von amerikanischer Straßenkriminalität und deren Bekämpfung durch gewalttätige Brutalität.
    Der Chor ist jetzt seit acht Jahren hier, dachte Loan. Morgen wollen sie die Namen der sieben menschlichen Familien bekanntgeben, die auf ihre Heimatwelt reisen und Gott begegnen sollen. Warum also erlauben sie noch, daß dieser ekelhafte Schwachsinn – und hier schlug er mit der Handkante auf das Heft – den Geist von leicht beeinflußbaren Amerikanerkindern wie Master Bryerly vergiftet?
    Da er keine Antwort auf diese Frage wußte, warf Loan das Comic-Heft in den Papierkorb neben seinem Schreibtisch.
    Fünfundzwanzig Minuten später, nachdem er sich vergewissert hatte, daß niemand ihn sah, nahm er Master Bryerlys Comic wieder aus dem Papierkorb, öffnete die Schreibtischschublade, legte das Heft hinein und blätterte schuldbewußt darin.
    Zwar hatte er 1974 (zwei Jahre nach der Niederlage der Kolonialmarionetten des Südens) in Ho Chi Minh City Englisch gelernt, aber das Vokabular in diesem Comic war ihm großenteils unbekannt. Er würde es mit nach Hause nehmen und dort studieren müssen.
    Mein Interesse, sagte er sich, ist rein akademisch. Welchen Reiz hat solcher Schund für die Kinder im Westen? Reicht pure Habgier hin, um erwachsene Männer und Frauen zu veranlassen, sich an der Herstellung solcher Machtphantasien zu beteiligen? Und was wird der Chor tun, um unsere Spezies von derartigen beklagenswerten Unternehmungen und Interessen fortzulenken?
    Und während er über diese Fragen nachsann, vertiefte Loan sich mehr und mehr in die Abenteuer des Helden im roten Anzug, der sich spurtend und mit Karate-Kicks seinen Weg durch die Seiten von Bryerly Bertholts Comic-Heft bahnte …
     
    Leah hörte die Zwillinge kommen, bevor Dolf die Augen geöffnet hatte. Es war kaum hell, aber sie sah die Dunstwölkchen, die in dem kalten Zimmer aus ihren Nasenlöchern stiegen.
    Normalerweise markierte der letzte Sonntag im April – dieses Jahr fiel er auf den siebenundzwanzigsten – für die Menschen in Waisenburg, Gardner und Snowy Falls den Beginn des frühlingshaften Wetters. Aber dieser Winter war rauh gewesen, und Wochen nach der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche rieselte immer noch Schnee von den Sangre-de-Cristo-Bergen herunter auf die Städte, die geduckt zwischen ihnen oder an ihrem Fuße lagen.
    »Aufwachen, Mommy! Aufwachen, Daddy!«
    »Aufwachen! Aufwachen!«
    Eldred kam zuerst zur Schlafzimmertür hereingestürmt, dicht gefolgt von seiner Schwester Karina. Die beiden trugen

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