Dieser Mann ist leider tot
müssen doch eine Intuition haben. Ich möchte, daß Sie sich einmal nach besten Kräften bemühen, sich zu erinnern, ob Sie je einen Selbstmordversuch unternommen haben.«
Die Kaffeemaschine gab einen schaudernden, dampfenden Seufzer von sich. Ein Geräusch wie ein Todesröcheln. Kai fuhr auf, lachte dann beschämt und wischte sich mit seinem Taschentuch über Mund und Stirn.
»Ja, wahrscheinlich«, sagte er dann und betrachtete seine Hände. »Mehr als einmal. Glaube ich.«
»Warum?«
»Darauf könnte ich Ihnen vieles antworten, nicht wahr? Ich könnte sagen, wegen des Scheiterns – wie ich es wahrnahm – meiner Arbeit. Oder weil ich desillusioniert war angesichts der Art und Weise, wie wir uns dazu verschworen hatten, den gottverdammten amerikanischen Traum zu verderben. Oder weil ich wegen meines dummen, ausgeflippten Lebenswandels Gesundheitsprobleme hatte. Irgendwas davon oder auch alles könnte ich Ihnen erzählen, schöne Dame, und Sie könnten niemals wissen, ob ich die Wahrheit sage oder ob ich Sie verscheißere. Das Problem ist, ich weiß selber nicht, ob irgend etwas davon stimmt.«
»Was stimmt denn? Weshalb sich umbringen?«
»Weil ich etwas verloren hatte. Etwas hatte mich verlassen. Es hatte mich verlassen wie Dampf, der seufzend aus der Kaffeemaschine entweicht. Es war furchtbar, so verlassen zu sein. Schlimmer als irgend etwas, das ich mir sonst vorstellen könnte, und so unternahm ich diesen massiven, konzentrierten Versuch, mein Dasein einzustellen.«
»Was hatte Sie verlassen, Kai?«
»Ich weiß es nicht. Das ist etwas, das ich zu gern wüßte. Während ich hier so sitze, frage ich mich, ob es nicht vielleicht zurückgekommen ist. Oder ob es angefangen hat, zurückzukommen.«
»Warum sind Sie nicht gestorben?«
»Es muß eine medizinische Intervention gegeben haben. Yeah. Es war eine medizinische Intervention. Ich hatte Freunde.«
»Sagen Sie mir, was, glauben Sie, ist dabei zurückzukommen. Was ist es, das Sie verloren haben und jetzt wiederfinden.«
»Macht«, sagte Kai. »Geist. Ich bin tot, soweit es die Person angeht, die ich einmal war, aber diese ›Macht‹ – eine wirkungsvolle ›Stimme‹ – versucht anscheinend, mich wieder zu benutzen. Ich glaube, das ist ein Grund dafür, daß ich wieder Geld in meiner Brieftasche habe – es ist eine Art ironische Verheißung meiner wiederkehrenden Macht. Aber die wirkliche ›Macht‹ kommt und geht. Manchmal schwindet sie – dehnt sich so aus, daß sie zu dünn wird –, daß ich mein Dasein beinahe einstelle, ohne überhaupt die Hand gegen mich zu erheben. Ich trinke Kaffee, um zu verhindern, daß es passiert.«
»Kaffee?«
Kai lachte. »Richtigen. Nicht diese entmannte Brühe. Es ist natürlich eine Wahnidee – die Idee, dicker, schwarzer, heißer Kaffee könnte verhindern, daß ich dahinschwinde. Aber wer hat eigentlich behauptet, Wahnideen müßten vernünftig sein?«
Wie kann ein Mann, der zugibt, daß seine Wahnideen unsinnig sind, gefährlich sein? fragte Lia sich. Wie kannst du vor jemandem Angst haben, der zu glauben vorgibt, daß Kaffeetrinken seine Rettung bedeutet, und der diese alberne Idee im nächsten Atemzug für lächerlich erklärt? Das kannst du nicht. Kai ist harmlos und niedlich. So niedlich wie Viking – ein aufgeplusterter Bluffer, der vieldeutig knurrt.
Aber da liegt der Haken. Die Vieldeutigkeit seiner Persönlichkeit. Verrückt oder bei Verstand? Gefährlich oder harmlos?
»Ihre Zeit ist so gut wie um.« Lia sah auf die Uhr. Es war kurz vor Mittag. »Kommen Sie in einer Woche wieder – um die gleiche Zeit –, und wir machen bei Ihrer Kaffee-Fixierung weiter.« Sie lachte, um Kai zu zeigen, daß es ein Witz gewesen war, aber der Ausdruck von Sorge – ja, von Schrecken – legte sich auf seine Züge, und sie fürchtete schon, sie habe ihn gekränkt, entweder weil sie die Sitzung abgebrochen oder weil sie seine Phantasievorstellung über die erlösenden Attribute des Kaffees und des Koffeins als ›Fixierung‹ bezeichnet hatte.
Hastig fügte sie hinzu: »Sie werden in der Gegend von Warm Springs/Manchester irgendwo wohnen, nehme ich an?«
»Irgendwo wohnen«, wiederholte er unbestimmt.
»Sie kommen doch wieder, oder?« Klang es, als befalle sie Panik bei dem Gedanken, er könne sie nach nur einer Sitzung verlassen?
»Wie viele Zimmer gibt es in dieser Gegend?« fragte Kai. »Wer wird eins für mich bereitmachen?« Er klang abwesend, fern.
»Ich werde nach Miss Bledsoe summen«, sagte Lia.
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