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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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ihre Mama gern an ihren guten Tagen, und Cal war froh, noch einmal aus dem Haus zu kommen, nachdem er den ganzen Nachmittag über Phil Dicks Tod gebrütet hatte.
    Emily lag im Bett und sah fern. Lia setzte sich neben sie. Cal lächelte, die Hände auf dem Rücken verschränkt, halbherzig. »Hey, Mom, wie geht’s?« Im Fernsehen lief ein PBS-Dokumentarfilm – Channel 28 – über die beiderseitigen Vorteile der sowjetisch-amerikanischen Détente: Kooperation im Weltraum, Verringerung der Militärausgaben, Verstärkung des Handelsund Kulturaustausches, etc. Emily war ganz versunken.
    »Mama«, sagte Lia. »Ist alles okay?«
    »Wie könnte alles okay sein?« fragte Phoebe Flack, ihre Zimmergenossin, eine Achtzigjährige, die Lia an die drolligen kleinen Puppen erinnerte, die man aus getrockneten Äpfeln machte. »Ich will die Sinatra Hour auf CBS sehen, aber sie läßt mich nicht. Sie zwingt mich, diesen langweiligen Scheiß über uns und die Rußkis anzugucken.« Phoebe deutete mit einer ruckartigen Geste auf den Fernsehapparat.
    Ein helles Licht erschien in Phoebes Augen. »Du hast deine langweiligen Sendungen bereits gesehen, Phoebe. Jeden Abend, gleich nachdem der gute alte Ronnie die Nachrichten vorgelesen hat, das gleiche blöde Zeug, Death Valley Days oder eine Wiederholung von General Electric Theater. Jetzt war ich an der Reihe, etwas auszusuchen.«
    »Das guckt sie jetzt extra«, beschwerte Phoebe sich bei Lia, »obwohl sie der Mist gar nicht interessiert.«
    Lia fragte sich, ob Phoebe womöglich recht hatte. Nur selten hatte Miss Emily großes Interesse am Fernsehen gezeigt. Und niemals – soweit Lia wußte – an Nachrichten, Sport oder Dokumentarfilmen. Das hier war unheimlich. Es war, als mache ein Eisbär plötzlich freiwillig einen Spaziergang durch die Sahara. Aber der Blick ihrer Mama klebte wie gebannt am Bildschirm.
    »Mama, ich glaube, Phoebe hat recht. Warum läßt du sie nicht Sinatra sehen? Außerdem hast du Besuch – Cal und mich.«
    »Das hier ist wichtig. Ich hab’s satt, mir Scheiß anzuschauen. Hier wird uns gezeigt, was unser Präsident geleistet hat, um wieder Vernunft in die Welt zu bringen.«
    Autsch, dachte Cal. Die Ärzte sagen, es ist keine Alzheimer; sie ist fähig, in klaren, logischen Progressionen zu denken … aber sie hat offensichtlich den Kontakt zur Realität verloren, über die sie hier und jetzt nachzudenken hat.
    Emily sah ihn direkt an. »Bist du der Meinung, ein endloser Zustand der Spannung zwischen uns und den Sowjets ist gesund, Calvin?«
    Cal war verblüfft, nicht bloß, weil sie mit ihm gesprochen hatte – eine Seltenheit –, sondern weil sie in Frage stellte, was er gerade gedacht hatte.
    »N-nein, Ma’am«, stammelte er. »Ich dachte nur …«
    »Warum seid ihr nicht alle still und laßt mich zu Ende sehen? Es dauert nicht mehr lange.«
    »Lange genug, daß ich Ol’Blue Eyes nicht mehr zu sehen kriege«, murrte Phoebe. Sie streckte die Hand nach Lia aus. »Bring mich in die Kapelle, ja, Schätzchen? Ich war den ganzen Tag noch nicht unten.«
    »Ich mach’s schon«, sagte Cal, erpicht darauf, von hier zu entrinnen. Er zog den Rollstuhl für die Zimmergenossin seiner Schwiegermutter aus dem Wandschrank und machte sich daran, ihn auseinanderzuklappen. Lia packte ihn bei den Handgelenken.
    »Mama hat gerade mit dir gesprochen«, wisperte sie. »Ein Tag, den wir rot anstreichen müssen. Bleib hier bei ihr. Ich bringe Phoebe in die Kapelle.« Vielleicht würde Emily, wenn die PBS-Sendung zu Ende wäre, noch einmal mit Cal sprechen, und die beiden – diejenigen Menschen, die Lia mehr bedeuteten als irgend jemand sonst auf der Welt – würden endlich anfangen, eine auf Verständnis und Liebe gründende Beziehung zu entwickeln.
    Aber das war nicht, was Cal wollte. »Lia …«, begann er.
    »Hilf mir, Phoebe in den Stuhl zu heben«, sagte Lia. »Und dann setz dich und leiste Mama Gesellschaft.«
    Einen Augenblick später schob Lia, zufrieden mit sich selbst, Phoebe Flack den langen Korridor hinunter, vorbei an Zimmern und Zimmern, in denen paarweise erbärmliche alte Leutchen lagen, vom Fernsehen betäubt oder durch Chemikalien sediert. Die schildkrötenhaften Schnäbel der Insassen deuteten glotze- oder deckenwärts, und die taube Resignation ihres eingekastelten Lebens nahm Lia rasch das Vergnügen, das es ihr bereitet hatte, Cal zu überlisten.
    Die Kapelle des Eleanor-Roosevelt-Pflegeheims war nicht viel größer als eine Besenkammer. Es gab dort

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