Dieser Mann ist leider tot
Gartens der Götter. Sie küssen einander unter dem Profil des Felsens, der aussieht wie zwei einander küssende Kamele, unter dem brabbelnden Gemurmel der Hochzeitsgäste.
»Wie passend«, bemerkt Jeff in der Menge, ein spöttisches Grinsen in der Stimme. »Jetzt können sie nach Hause gehen und einander buckeln.«
Lia läßt den Kuß dauern und immer weiter dauern, und sie merkt, daß sie gegen Cals Mund grinst, grinst über Jeffs Bemerkung, über die selige Erinnerung, die diese Zeremonie ihnen für alle kommenden Tage ihres Lebens unauslöschlich einbrennen wird …
Bloß, daß es so natürlich nicht gewesen ist. Geschichte und Umstände traten dazwischen, vertrieben die Götter aus dem Garten und ertränkten die küssenden Kamele in Scheinwerferlicht. Es gab keine Nadel. Sie benutzten einen Ring wie alle anderen auch. In ihrem Falle einen Ring, der einmal der Mutter von Cals Mutter gehört hatte.
Lia hörte ein heftiges Schnauben. Plötzlich erschienen die Kapelle und ihre ganze Einrichtung wieder. Das Schnauben war von Phoebe Flack gekommen, die in ihrem Rollstuhl gesessen und gebetet oder nur so getan hatte und dabei eingeschlafen war. Lia lächelte die Frau an. Dann schaute sie zwischen ihre Beine und sah, daß die Fischbrosche verschwunden war.
Wo ist sie? wollte sie schreien. Statt dessen hob sie den Hintern und befühlte die warme Metallmulde, in die die Nadel vielleicht gerutscht war. Kein Glück. Sie ließ sich auf die Knie sinken und suchte den nach Lysol riechenden Boden danach ab. Noch immer kein Glück. Also begann sie, umherzukriechen, und betastete die konturlosen Fliesen nach einer Auswucherung, die ihnen nicht eignete. Dann stieß sie gegen einen Stuhl.
»Was für eine Zielscheibe«, sagte Phoebe Flack, die sich wachgeschnarcht hatte. »Ein Mann in Stiefeln hätte einen Heidenspaß dabei, Ihnen in den Arsch zu treten.«
Als Emilys Dokumentarfilm zu Ende war, wandte sie sich Cal zu. »Schauen Sie mal in meinen Bademantel«, sagte sie. »In die Tasche.«
Cal erhob sich von dem unbequemen Krankenhausstuhl und fühlte in die Tasche ihres Bademantels, der innen an der Badtür an einem Haken hing. Seine Finger schlossen sich um etwas Rundes, Plattes; zuerst dachte er, sie seien auf eine Dose Schuhcreme gestoßen. Aber das schien es nicht ganz zu treffen.
Größe und Gewicht sind falsch, überlegte Cal. Außerdem hat der Deckelrand keinen Wulst, unter den man eine Münze oder eine Flügelschraube schieben könnte.
»So ist’s recht«, ermunterte Miss Emily ihn. »Bringen Sie’s her!«
Er zog den Gegenstand hervor – eine kleine gelbe Dose ›Dean Swift’s‹-Schnupftabak. Was ihn erstaunte. Ebenso wie die Tatsache, daß Miss Emily, als er sich umdrehte, aufrecht saß und den gespenstischen Eindruck einer kostümierten Person machte. Sie sah aus wie Emily Bonner … und auch wieder nicht. Während Cal sie beäugte, stellte er sich vor, ihm müsse jetzt ein bißchen so zumute sein wie dem Rotkäppchen, als es den großen bösen Wolf in seinem falschen Großmutter-Kostüm betrachtete.
»Calvin, ich habe gesagt: ›Bringen Sie’s her!«‹ Merkwürdig rauchig klang die vornehme Stimme von Lias Mutter.
Ihr Gesicht schien im Licht der Leuchtstoffröhre des Zimmers zu flimmern – zu zittern. Ihr Kopfhaar wurde kürzer, eingezogen gleichsam, wie Blütenstiele in einem rückwärts laufenden Zeitrafferfilm. Unterdessen begannen Stoppeln an Kiefer und Kinn zu sprießen, und das Matronenantlitz wurde borstig. Gleichzeitig aber erinnerte der Effekt an eine doppelt belichtete Aufnahme. Cal sah hinter diesen Wandlungen immer noch die unveränderte Gestalt der Frau, die er und Lia hier hatten besuchen wollen.
Folien, dachte er. Es ist eher wie eine Phantombilddarstellung, und nicht wie eine Doppelbelichtung. Man legt einfach eine Plastikfolie über die andere, und wenn man blinzelt, bleibt die ursprüngliche Lage weiter sichtbar.
»Ich wußte nicht, daß Sie schnupfen, Mrs. Bonner.«
»Ich kann’s auch nicht, wenn Sie weiter dastehen und glotzen, nicht wahr? Bringen Sie’s schon her, bitte!«
Cal gehorchte. Miss Emily nahm die Dose und hielt sie über die Decke; sie drehte den Deckel ab und streute sich ein feines braunes Pulver auf den Handrücken. Dann schnaufte sie die Körnchen auf wie ein ausgebrannter Kokser, der eine krumme Line einzog. Cal legte den Kopf schräg; er kam sich vor wie ein kleiner Junge in der Schlange vor dem Panoptikum, der hingerissen zu der ›Bärtigen Dame‹
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