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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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bleibt uns gar nichts anderes übrig.«
    »Na, Sie sind ja auch hier geboren«, wisperte Grace zurück. »Da können Sie sich auch ein bißchen taktische Knauserigkeit leisten.«
    »Aber diese Leute hier nicht«, sagte Pollard. »Im Ausland geborene Bürger, die No-Name-Waren kaufen, geraten in Gefahr, sich wie No-Name-Amerikaner zu fühlen, wurzellos und unauffällig. Es ist psychologisch wichtig für sie, sich mit Markenprodukten zu identifizieren. Deswegen schenken wir ihnen zum Examen Adidas-T-Shirts und Papermate-Kulis und Einkaufstüten von Macy’s.«
    Der Direktor deutete mit dem Kopf auf die nächste Tür am Gang. »Kommen Sie, meine Damen.«
    Hoffentlich zählst du dich selbst auch zu dieser Kategorie, dachte Lia – nicht, weil sie Ralph C. Pollard für schwul oder auch nur für abstoßend effeminiert hielt, sondern weil sein Benehmen etwas quintessentiell Zickiges an sich hatte. Sie kam zu dem Schluß, daß er ein herablassender, verkorkster Typ sei, und dieser Rundgang deprimierte und erschöpfte sie auf eine Weise, wie es nicht einmal ein ereignisloser Arbeitstag in Warm Springs vermocht hätte.
    Der nächste Raum, zu dem sie gelangten, war ein kleines Auditorium. An einem Ende befand sich eine Bühne, deren Hintergrund eine ungeheure, nahezu lachhaft große amerikanische Flagge bildete. Bisher waren sie bei jedem Therapie- oder Unterrichtsraum vor der Tür stehengeblieben, aber hier marschierte Grace kühn hinein. Kaum hatten die fünfzehn, zwanzig Vietnamesen auf ihren Theaterstühlen sie gesehen und erkannt, erhoben sie sich unter enthusiastischem Applaus. Lia wußte sogleich, daß diese Demonstration von Respekt und Zuneigung so spontan wie echt war; die Männer im Raum freuten sich wirklich, sie zu sehen. Sogar der junge Mann auf der Bühne, dessen Darbietung Grace gestört hatte, applaudierte. Er trug ein beigefarbenes Helmfutter und schlug sich mehrmals mit einer Reitgerte auf die Handfläche, um seinem Entzücken über das unerwartete Erscheinen der Freiheitsmedaillenträgerin Ausdruck zu verleihen.
    »Ich möchte mich für meinen Überfall entschuldigen«, sagte Grace und drängte sie mit beiden Händen, sich zu beruhigen. »Wir haben nicht die Absicht, Ihren Zeitplan durcheinanderzubringen. Ich wollte nur, daß Dr. Bonner hier« – sie deutete auf Lia – »einmal sieht, wie gut Sie alle vorankommen, und was für großartige Talente viele von Ihnen besitzen. Bitte fahren Sie jetzt fort mit dem, was Sie getan haben.«
    Nach diesen Worten ging Grace mit Lia und dem Direktor an der Wand entlang zum hinteren Teil des Auditoriums, wo sie einen Stehplatz fanden, die Arme verschränkten und darauf warteten, daß der Mann mit dem Helmpolster seine Darbietung wieder aufnehme. Was er ungehemmt tat.
    Lia brauchte nur einen Augenblick, um zu begreifen, daß er den Prolog zu dem Film ›Patton‹ nachspielte, George C. Scotts eloquente Rede vor den Soldaten. Und er spielte ihn gut, wenn auch nicht ganz und gar professionell; er schritt hierhin und dorthin, sprach jede Silbe, als sei sie in eine goldene Tafel graviert, und benutzte seine Reitgerte – sie und der Helm waren seine einzigen Requisiten –, um Pattons hurra-patriotische, aber irgendwie doch bewegende Predigt zu unterstreichen. Jeder in dem kleinen Auditorium lauschte mit strenger Aufmerksamkeit, und als er fertig war, klatschte man ebenso laut und herzlich wie bei Graces Ankunft.
    »Sehr gut, Pham Ka Son«, sagte die Schauspielerin, und der junge Mann nahm den Lederhelm ab, schaute in seinen Calvin-Klyne-Jeans und seinem Arrow-Hemd jedermann an und nahm ihr Lob schüchtern entgegen. Er schien darob ebenso viel Verlegenheit wie Genugtuung zu empfinden.
    Pollard beugte sich an Lia vorbei und flüsterte: »Er hat seinen Namen eben legal in Frederick Cason geändert, Grace. Es würde ihm gefallen, wenn Sie ihn so nennen könnten.«
    »Sehr gut, Mr. Cason«, sagte Grace laut. »Mit Ihrem Sprechtalent sollten Sie, finde ich, für ein politisches Amt kandidieren.«
    Das Lächeln des Mannes wurde breiter, und er kam von der Bühne herunter, um Helmfutter und Reitgerte dem nächsten Darsteller zu überreichen. Dieser war ein noch jüngerer Bursche als ›Frederick Cason‹, zweifellos noch ein Teenager; er nahm seine Requisiten mit einer Verbeugung entgegen und trippelte dann beinahe zierlich die Stufen zur Bühne hinauf. Gleich darauf rezitierte auch er die George-C.-Scott-Rede – mit einer exotisch gefärbten und überraschend hohen Stimme.

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