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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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Der andere MP half Pollard auf, und gleich darauf waren alle sechs, auch der Mann in dem Laborkittel, um den gefallenen Vietnamesen versammelt. Lia weinte zu ihrem eigenen Verdruß.
    »Er ist nicht tot«, sagte Grace. »Die MPs, die dem FAZ zugeteilt sind, benutzen keine echten Kugeln. Sie sind mit Hochdruck-Tranquilizern ausgerüstet. Der Aufprall hat Lat zu Boden geworfen, aber die Droge beginnt jetzt erst zu wirken. Nur hat Miller dort« – mit dem Kopf deutete sie auf den knienden MP – »einen der Pfeile herausgezogen. Damit unser Freund nicht länger nach Wolkenkuckucksheim verschwindet, als notwendig ist.«
    »Aber das Blut …«
    Miller hob eine der Perlen vom Boden auf, stand auf und legte sie Lia in die Hand. »Das ist eine Betelnuß«, sagte er. »Und all der schmierige rote Dreck, den der Kerl am Mund und am Hemd hat – na, das ist bloß der Saft von der Betelnuß, die er gekaut hat.«
    »Wir dachten, er hat vielleicht ein Taschenmesser oder so was«, sagte der andere MP. »Deshalb haben wir uns beeilt, ihm den Tranq zu verpassen.«
    »Vietnamesische Bauern«, erklärte Grace, »kauen Betelnüsse, um das Gefühl für die Armut in ihrem Leben abzutöten. Aber Lat nicht. Er hat sich einen Vorrat zugelegt, um in seinem Trotz auf die Arbeit unseres Zentrums spucken zu können – buchstäblich.« Sie drehte sich nach dem FAZ-Leiter um. »Hat jemand dies kommen sehen, Pollard?«
    »Lat schien gut voranzukommen, Grace. Allenfalls war er seinem Zeitplan voraus. Das hier kommt … äh … völlig unerwartet.«
    »Scheiße«, sagte Grace. »Scheiße hoch siebenundsiebzig.«
    Der MP namens Miller, merkte Lia, betrachtete aufmerksam ihre Jacke. »Ihre Nadel gefällt mir«, sagte er in leisem, vertraulichem Ton. »Und ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich auch Christ bin.«
     
    Auf der Fahrt über den Highway 27 zurück nach Pine Mountain versicherte Grace, Lia habe das FAZ in Fort Benning an einem höchst ungewöhnlichen Tag besichtigt. In den fast zwanzig Jahren seines Betriebs könne man rezidive Rückfälle wie bei Vo Quang Lat an den Fingern zweier, vielleicht dreier Hände abzählen. Selbstverständlich schließe diese Schätzung Terroristen und Guerillas des harten Kerns nicht ein, denn diese seien buchstäblich eine andere Rasse als dankbare Verbündete wie die Südvietnamesen oder selbst als Feinde, so vernichtet und schmerzerfüllt wie die Rote Armee des Nordens und ihre Genossen von der Nationalen Befreiungsfront – dem Vietkong also.
    »Was wird denn jetzt eigentlich aus Lat?«
    »Warum?« fragte Grace.
    »Ich dachte nur. Ich meine, wird er bestraft? Irgendwo in eine Zelle gesteckt oder …«
    »Hingerichtet?«
    »Bestimmt nicht. Ich meine, weil er eine Art Zusammenbruch erleidet, während er sich dem Prozeß der Amerikulturierung unterzieht?«
    »Selbstverständlich nicht. Absolut nicht. Wir werden ein Beratungsgespräch mit ihm führen und dann von vorn anfangen.«
    Der Cadillac strich geschmeidig durch den Flickenteppich von Licht und Schatten, der den Highway 27 bedeckte, gemalt von den Kiefern, die am östlichen Straßenrand auf Posten standen. Zur Linken sah Lia, wie die frühe Abendsonne rote Lanzen durch die zerfransten Bäume bohrte und irgendwo bei Lannett oder Opelika in den Boden stieß, und sie hatte das Gefühl, sie sei jahrelang aus Pine Mountain weg gewesen, nicht bloß einen einzigen Nachmittag.
    »Wie würde es Ihnen gefallen, für uns im FAZ in Fort Benning zu arbeiten?«
    Lia mußte sich beherrschen, um vor Überraschung nicht laut herauszuplatzen. Genau. Ich, ein Produkt der prä-repressiven Antikriegs-Bewegung, therapiere asiatische Egos für King Richard. Meine bloße Bereitschaft, mit dir Therapiesitzungen zu veranstalten, hat wahrscheinlich schon meine Ehe in Gefahr gebracht. Ein Job in einem eurer Zentren würde hundertprozentig die Scheidung bedeuten: S-C-H-E-I-D-U-N-G. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, was Cal über diesen Nachmittag sagen wird. Aber mich von euch engagieren zu lassen? O ihr Götter, der Gedanke ist unerträglich …
    »Ich nehme an, das heißt: Nein?«
    »Ich habe meine eigene Praxis, Grace.«
    »Und ich habe gesehen, wie schwindelerregend gut Sie damit zurechtkommen, nicht wahr?«
    Ungefähr genauso schwindelerregend gut wie du heutzutage anscheinend mit deinem FAZ, dachte Lia. Aber sie sagte nichts.
    »Sie könnten schwierige Fälle behandeln. Lat zum Beispiel.«
    »Ich habe das Amerikulturieren nicht gelernt, Grace. Es liegt völlig außerhalb meiner

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