Dieser Mann macht mich verrückt
stellte die Gitarre wieder ab. »Mit mir wirst du nur Frieden schließen, wenn du dich auch mit deiner Mutter aussöhnst. Das hätte sie verdient.«
»So einfach ist es nicht«, erwiderte Dean und rieb die schlammige Spitze eines Turnschuhs an einer Stufenkante.
»Jedenfalls einfacher, als den alten Müll auszubuddeln.«
Wortlos wandte Dean sich ab und ging zu seinem Laster.
Er ließ die schmutzigen Sneakers und Socken auf der Veranda zurück. Wie üblich hatte niemand daran gedacht, die Haustür zu versperren. Drinnen war es kühl und still. Ein Korb in der Halle enthielt seine Schuhe. Am Kleiderständer hingen seine Kappen, neben dem Messingtablett, auf das er seine Schlüssel und sein Kleingeld warf, stand ein gerahmtes Foto. Das Bild zeigte den acht- oder neunjährigen Dean - eine knochige nackte Brust, knubbelige Knie und dünne Beine unter Shorts, ein Footballhelm auf dem kleinen Kopf. Diesen Schnappschuss hatte April an einem Sommertag in Venice Beach geknipst. Dort hatten sie eine Zeitlang gewohnt. Im ganzen Haus waren seine Kinderbilder verteilt - Fotos, an die er sich nicht einmal erinnerte.
Am letzten Abend hatte Riley ihn gedrängt, die Wandgemälde zu begutachten. Doch er hatte sich geweigert. Wenn er diese Fresken zum ersten Mal sah, sollte Blue dabei sein. Nun ging er am Speiseraum vorbei, ohne hineinzuspähen, und betrat das Wohnzimmer. Die wuchtigen Sofas eigneten sich perfekt für einen hochgewachsenen Mann, der Fernseher war so postiert, dass der Bildschirm kein Licht reflektierte, wenn er sich die Videos seiner Matches anschaute. Auf dem Couchtisch lag eine schützende Glasplatte. Deshalb musste er keine Untersätze für seine Drinks verwenden. In diversen Schubladen würde er alles finden, was er brauchen mochte - Bücher, Fernbedienungen, Nagelscheren. Keines der Betten im Oberstock war mit Fußenden versehen. Und die Anordnung der Waschbecken in den Badezimmern entsprach seiner Körpergröße. Die Duschkabinen waren geräumig. An extra langen Handtuchhaltern hingen die überdimensionalen Badetücher, die er bevorzugte. Für all das hatte April gesorgt. In seinen Ohren wisperte das Echo ihres trunkenen Schluchzens, Sei mir nicht böse, Baby. Bald wird‘s besser. Das verspreche ich dir. Sag mir; dass du mich liebst, Baby. Wenn du mir das sagst, werde ich nie mehr trinken, ich schwöre es ...
Niemals wäre die Frau, die ihn mit ihrer überspannten, sprunghaften Liebe fast erstickt hatte, imstande gewesen, diese komfortable Oase zu gestalten.
Dieser Morgen hatte ihm zu viel abverlangt. Nun musste er die wirren Gefühle erst einmal verarbeiten. Aber dazu hatte er jahrelang Zeit gehabt. Und was hatte es ihm genützt? Durch die Glastür sah er April die Verandastufen heraufsteigen.
Die Veranda hatten Dean und Jack gebaut, aber nach den Plänen seiner Mom, mit hoher Decke, Bogenfenstern in den Seitenwänden und einem Schieferboden, der sogar an heißen Tagen kühl blieb.
Um sich vom Lauftraining zu erholen, presste sie die Handkanten in ihr Kreuz. An ihrem Körper glänzte Schweiß. Sie trug schwarze Shorts und ein bauchfreies blaues Racerback-Top. Ihr langes Haar hatte sie zu einem stilvollen Pferdeschwanz zusammengebunden. Nicht so schlampig wie Blue.
Nun müsste er duschen, eine Weile allein sein und dann mit Blue reden, die alles verstand. Stattdessen öffnete er die Glastür. Lautlos betrat er die Veranda.
Trotz der Temperatur von über dreißig Grad fühlten sich die Fliesen kalt unter seinen nackten Sohlen an. Seine Mutter wandte ihm den Rücken zu. Am letzten Abend hatte er die Sessel beiseitegerückt und den Boden mit einem Gartenschlauch gespritzt. Jetzt schob April sie wieder unter den Tisch. Dean ging zu dem CD-Player, der auf einem schmiedeeisernen schwarzen Gestell stand. Welches Album gerade in dem Gerät steckte, interessierte ihn nicht. Wenn es ihr gehörte, war es okay. Er drückte auf die Start-Taste.
Als Musik aus den kleinen Lautsprechern tönte, fuhr April herum. Überrascht öffnete sie die Lippen, sah seine derangierte äußere Erscheinung und wollte etwas sagen. Doch er kam ihr zuvor. »Tanzen wir?«
Sie starrte ihn an, schmerzliche Sekunden verstrichen. Weil ihm nicht einfiel, wie er das Schweigen brechen sollte, bewegte er sich im Takt - die Füße, die Hüften, die Schultern. Reglos stand sie da, und er streckte eine Hand aus. Aber seine Mom - diese Frau, die automatisch tanzte, wenn andere Leute gingen - hatte offenbar vergessen, wie man auch nur einen Finger
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