Dieser Mann macht mich verrückt
braunen Haaren. Kein glänzendes Blond. Nicht so wie Mom und Tante Gayle und Trinity.
»Was für hübsche Haare du hast, Riley. Wie ein Filmstar.«
Sie stellte sich vor, das würde ihr großer Bruder sagen. Sicher wäre er ihr bester Freund.
Je weiter sie bergauf stieg, desto schwerer fiel ihr das Atmen, desto kräftiger drohte der Wind sie zurückzustoßen. Schaute Mom jetzt vom Himmel auf sie herab? Versuchte sie ihr zu helfen? Aber wenn Mom im Himmel war, würde sie mit ihren Freundinnen telefonieren und rauchen.
Rileys Schenkel brannten an den Stellen, wo sie sich aneinanderrieben, und ihre Brust schmerzte. Wenn sie in die richtige Richtung ging, müsste sie inzwischen das Straßenschild sehen.
Der Rucksack erschien ihr so schwer, dass sie ihn hinter sich herziehen musste. Wenn sie hier starb, würde ein Wolf vielleicht ihr Gesicht fressen, bevor irgendjemand die Leiche fand. Dann wüsste niemand, wer sie war - Riley Patriot.
Ehe sie den Grat des Hügels erreichte, entdeckte sie ein verbogenes Metallschild. Callaway Road. Auch diese Straße führte bergauf. An den Seiten bröckelte der Asphalt, und sie strauchelte und stürzte. Dabei zerriss die Kordhose, und sie begann zu weinen. Aber sie zwang sich aufzustehen.
Diese Straße verlief nicht so schnurgerade wie die andere. In scharfen Kurven wand sie sich nach oben, und das jagte ihr Angst ein, denn sie wusste nicht, was sich hinter den Biegungen befand.
Würde sie sterben? Das war ihr beinahe schon egal. Aber sie wollte nicht, dass ein Wolf ihr Gesicht fraß. So schleppte sie sich weiter. Endlich erreichte sie den Grat. Sie versuchte hinabzuschauen. Vielleicht würde sie die Farm entdecken. Aber es war zu dunkel. Als sie bergab ging, stießen ihre Zehen gegen die Spitzen der Sneakers.
Nach einer Weile lichtete sich der Wald, und sie sah einen Drahtzaun. Eisig blies ihr den Wind ins Gesicht. Aber sie schwitzte trotzdem unter der dicken rosa Jacke. Sie gewann den Eindruck, sie hätte schon hundert Meilen zurückgelegt. War sie an der Farm vorbeigegangen, ohne es zu merken?
Am Fuß des Hügels sah sie eine Gestalt. Ein Wolf! Wie rasend begann ihr Herz zu schlagen. Sie wartete. So lange war es schon dunkel. Inzwischen musste der Morgen anbrechen. Aber am Himmel erschien noch immer kein Licht. Die Gestalt bewegte sich nicht. Vorsichtig machte sie einen Schritt darauf zu, dann noch einen.
Immer näher kam sie heran, bis sie einen alten Briefkasten erkannte. An der Seite stand irgendetwas. Aber in der Finsternis konnte sie es nicht lesen. Wahrscheinlich war es ohnehin nicht der Name ihres Bruders, denn Leute wie ihr Bruder und ihr Dad ließen niemanden wissen, wo sie wohnten. Doch das musste die Farm sein. Also folgte sie der Straße hinter dem Postkasten.
Diese Straße war die schlimmste von allen, sie war nicht asphaltiert, sondern ein Kiesweg. Große Bäume säumten den Weg, die das Dunkel noch verdichteten. Sie stürzte wieder. Schmerzhaft schürfte der Kies ihre Handballen auf.
Schließlich umrundete sie eine Kurve, hinter der keine Bäume mehr wuchsen, und sie entdeckte ein Haus. In den Fenstern brannte kein Licht. Kein einziges. In ihrem Haus in Nashville gab es Alarmlampen. Wenn jemand einzubrechen versuchte, flammten sie auf. Sie wünschte, so etwas wäre auch in diesem Haus eingebaut. Aber hier draußen auf dem Land kannte man so etwas vermutlich gar nicht.
Den Riemen ihres Rucksacks wieder über der Schulter, stolperte sie weiter und sah noch andere Gebäude. Die Umrisse eines Stalls. Was sollte sie tun, wenn alle Leute schliefen? Ihre Mom hatte es gehasst, wenn sie im Morgengrauen geweckt worden war. Womöglich war ihr Bruder auch so empfindlich. Schlimmer noch - wenn er gar nicht hier war? Wenn er sich immer noch in Chicago aufhielt? Die ganze Zeit hatte sie versucht, nicht daran zu denken.
So oder so, bis zum Morgen musste sie sich irgendwo ausruhen. In den Stall wagte sie sich nicht. Also wandte sie sich zum Haus. Langsam ging sie darauf zu.
8
Durch das winzige Fenster über Blues Kopf drang ein schwacher Lichtschimmer ins Dunkel. Es war noch zu früh, um aufzustehen. Aber unglücklicherweise hatte sie ein großes Glas Wasser getrunken, bevor sie ins Bett gegangen war. Und in dem Zigeunerwagen, so gemütlich er auch sein mochte, gab es keine Toilette.
Noch nie hatte sie in einer so wunderbaren Umgebung geschlafen. Als wäre sie in ein Märchen entführt worden und hätte mit einem blonden Zigeunerprinzen um ein Lagerfeuer
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