Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
passiert. Ich hätte mehr aus meinem Leben machen sollen. Hätte an irgendetwas mal festhalten, einfach weitermachen sollen. Dabei habe ich aber immer die Arbeit und den Aufwand gescheut. Und das ist auch jetzt noch so, nachdem ich die Diagnose Bronchialkarzinom bekommen habe. Ich habe keine Lust, von Arzt zu Arzt, von Behandlung zu Behandlung zu rennen. Ich lasse die Krankheit einfach verlaufen. Obwohl ich Angst habe, das muss ich zugeben. Angst vor dem Sterben. Angst vor dem Gefühl, dass jetzt alles vorbei ist. Das hat so etwas von » alles zu spät«. Ich kann es mir ehrlich gesagt auch noch nicht so richtig vorstellen.
Wenigstens habe ich es geschafft, mir einen Hund zuzulegen, eine Freundschaft zu pflegen (damit meine ich Miriam, die übernimmt dann auch meinen Hund), auf ein Auto gespart zu haben (einen Fiat Panda, den habe ich » Pandabär« getauft) und einmal täglich an die frische Luft zu gehen. Das ist alles, was auf mich zugekommen ist, als ich auf das richtige Leben gewartet habe. Oder, warten Sie, das sind eigentlich die Dinge, für die ich selber die Initiative ergriffen habe. Ja, das fällt mir jetzt auf, wo ich Ihnen das erzähle. Ach, ist doch gar nicht so schlecht.
Tanja Eschbach, 63 Jahre, Bronchialkarzinom
verstorben im März 201*
Oft war ich einsam, weil ich mich mit meinem Mann nicht austauschen konnte
Wenn andere im Heim ihr Leben erzählen, habe ich den Eindruck, ich habe gar nichts erlebt. Wir haben zwar die Flucht aus Schlesien mitgemacht und die Kristallnacht über Dresden, aber da spreche ich nicht drüber, das ist schon so lange her. Ansonsten habe ich nicht groß was erlebt.
Wichtig war mir nur meine Familie. Meine Schwiegereltern haben zweihundert Meter neben uns gewohnt, und ich habe mich um die gekümmert, na ja, wie es so ist im Leben. Ich war ein Mensch, der gesagt hat, ich muss alles machen, deswegen wollte ich meinem Mann auch nichts abgeben. Ich habe den ganzen Tag im Büro gesessen und habe alles, was mit schriftlicher Arbeit und mit Geld zu tun hatte, in der Hand gehabt. Und vor allem unsere Tochter. Das war mein Kind, dafür habe ich gesorgt, das habe ich alles gemacht. Mein Mann durfte sie mal so nebenbei in den Arm nehmen, aber sich nicht so um sie kümmern wie die Männer das heute tun. Das war meins. In der Beziehung war ich vielleicht ein bisschen komisch, meinem Mann war das aber recht.
Du und deine Tochter, das habe ich sehr oft von ihm gehört. Ihr macht alles besser, ihr könnt das ja auch. Mein Mann hatte eben nur einen Abschluss als Schlosser, ich hatte zwei als Sekretärin, und meine Tochter hat Betriebswirtschaft studiert. Das hat ihn wahrscheinlich immer bedrückt. Dabei ist er nicht dumm, er ist belesen, alles, was an Olympiabüchern erschienen ist, hat er gekauft. Allerdings ist er nie aus sich herausgekommen. Wenn ich abends von der Arbeit nach Hause kam, saß mein Mann im Sessel und hat Sport geguckt, und meine Tochter und ich haben in der Küche gelabert. Wenn er dann sagte, wir seien ein Pack, meinte ich, ja, dann musst du eben auch dabei sein und zuhören, wenn wir reden. Das interessiert mich gar nicht, sagte er dann. Mich hat es aber interessiert, was meine Tochter erzählte.
Dass mein Mann eher ein in sich gekehrter Eigenbrötler war, habe ich bei der Arbeit mit den Kollegen ausgeglichen. Mit denen konnte ich alles besprechen, was ich zu Hause nicht loswurde. Wir haben uns alle prima verstanden, sogar mit dem Chef haben wir uns geduzt. Als er zum Schluss gestorben ist, war es fast schlimmer, als wenn der eigene Mann stirbt. Nach meiner Pensionierung fing das neue Leben mit meinem Mann an. Wir mussten uns erst richtig zusammenfinden, denn wir kannten uns ja nur vom Urlaub her und von den Abenden. Wo mein Mann früher nichts zu machen brauchte, musste er dann alles machen. Zur Sparkasse gehen, einkaufen, die Wäsche. Denn seitdem ich nicht mehr arbeite, sitze ich wegen einer Fußerkrankung im Rollstuhl. Oft war ich einsam, weil ich mich mit meinem Mann nicht austauschen konnte. Aber damit habe ich mich jetzt auch abgefunden.
Als wir ins Heim gezogen sind, haben wir noch mal alles verloren. Was die hier alles erzählen von zu Hause, das ist für mich vorbei. Es ist klar, dass es hier nicht so schmeckt wie zu Hause oder wie es die Mutter gemacht hat. Aber das interessiert mich auch gar nicht mehr, was meine Mutter gemacht hat. Ich habe viel von ihr übernommen, und meine Tochter hat auch viel von mir übernommen. Ich hatte ein normales Leben,
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