Dieser Sonntag hat's in sich
wollte nach seinen eigenen Worten nicht, daß
kriminelle Elemente die Ökologie seines Zuhauses zerstörten. Nach Aussagen der
Mitarbeiter der Parkverwaltung hat John vielleicht recht. Das Problem ist heute
ernster als je zuvor, ernster als zu der Zeit, als die Hippies sich Ende der
sechziger Jahre im Park ausbreiteten. Viele der neuen Bewohner haben schlimme
Alkohol- oder Drogenprobleme, andere sind einfach zerstörungswütig, und man
kann kaum etwas daran ändern. Wenn sie vertrieben oder verhaftet werden, kommen
sie früher oder später einfach wieder zurück.
Ein Parkbeamter, den ich bei einer
Party bei All Souls kennengelernt hatte, meinte, daß sich die Lage erst bessern
werde, wenn sich die Gesellschaft selbst bessere. Ich hatte ironisch »Viel
Glück« gewünscht.
Ich legte meine Zeitung auf die Seite,
holte mir noch etwas Kaffee und dachte über Bob Choteau nach. Mein Bauch — was
ich Ben Gallagher gegenüber nie im Leben erwähnt hätte — sagte mir, daß Bob
Goldring nicht getötet hatte. Zwischen den beiden Männern war zu viel echte
Zuneigung gewesen; ich dachte daran, wie Bob Goldring als »Captain«
angesprochen hatte. Und was noch wichtiger war, Bob hatte von dem Mord keinen
Vorteil. Solange Rudy lebte, hatte er einen Biervorrat, wahrscheinlich ein
kleines Taschengeld, eine Stufe, auf der er sitzen konnte, und damit hatte er
sicherlich ein gewisses Ansehen in der Obdachlosengesellschaft genossen. Ohne
Rudy war Bob nur ein Penner unter vielen, ein Niemand.
Aber wenn es nun eine Affekthandlung
gewesen war? fragte mein eigener Widerspruchsgeist. Vielleicht hatte Bob mehr
Bier gewollt, und Rudy hatte keines? Oder mehr Geld als Rudy bereit war, ihm zu
geben? Es schien keine vorsätzliche Tötung gewesen zu sein. Der tödliche Schlag
war vermutlich impulsiv erfolgt, im Zorn ausgeführt worden. Aber die Person,
die zugeschlagen hatte, mußte nicht Bob gewesen sein. Rudy hatte an jenem Tag
noch eine Verabredung gehabt; das hatte mir zumindest seine Büroleiterin, Mrs.
Halvorsen, gesagt, als ich im Büro nach ihm fragte. Sie hatte angenommen, das
Treffen sollte außerhalb des Hauses stattfinden, aber vielleicht hatte sie das
auch nur vermutet. Vielleicht war es in seiner Wohnung geplant.
Ich spielte mit der Kaffeetasse und
versuchte mir die Situation auszumalen.
Erstens, dachte ich, Rudy hat eine
Verabredung. Irgendwann zwischen zehn — nachdem er das Büro kurz vor der vollen
Stunde verlassen hatte — und ein Uhr, denn um diese Zeit hatte er mit einem
neuen Kunden einen Termin zu einer Anprobe vereinbart. Er soll diese Person
also oben in seiner Wohnung treffen. Vielleicht will er nicht, daß seine
Angestellten wissen, daß er sich mit dieser Person trifft — entweder weil man
ihn oder sie hier kennt, oder weil er will, daß niemand hört, was er mit dieser
Person zu reden hat. Auf jeden Fall verläßt er das Büro und geht nach oben. Die
Person trifft ein, sie streiten, die Person tötet ihn und verschwindet.
Was dann? fragte ich mich. Wann war
Goldring gestorben? Ein paar Stunden, bevor ich kam, nach der Leichenstarre zu
schließen. Und sicherlich, bevor seine Angestellte kurz nach eins anrief, um zu
erfahren, warum er nicht zur Anprobe erschienen war. Ob Gallagher jetzt wohl schon
eine einigermaßen genaue Schätzung der Todeszeit hatte? Vermutlich. Ich wollte
ihn anrufen und fragen.
Aber ich zwang mich, die Szene zuerst
zu Ende zu denken.
Dann traf vermutlich Bob ein. Er ging
nach oben — vielleicht weil er sah, daß die Tür offenstand. Er fand Goldrings
Leiche, ließ seinen Beutel fallen und flüchtete in den Park. Im Gegensatz zu
Gallagher glaubte ich nicht, daß seine Flucht zwangsläufig ein
Schuldeingeständnis war. Ein Mann von der Straße wie Bob Choteau wußte
sicherlich, daß er der Hauptverdächtige wäre, und der mehr als fünfhundert
Hektar große Park erschien ihm wohl als das geeignete Versteck. Er kannte
möglicherweise andere Leute, die dort lebten, ihm Zuflucht boten und ihm ihre
Überlebenstricks verrieten.
Und dann war die Frau in Vicky Cushmans
BMW eingetroffen. Instinktiv mißtraute ich Vickys Behauptung, der Wagen habe zu
dieser Zeit innerhalb der Schloßanlage gestanden. Vielleicht log sie,
vielleicht war sie selbst hinters Licht geführt worden, aber ich war überzeugt,
daß sie die Frau kannte, die ihren Wagen gefahren hatte. Warum hätte sie sonst
in ihrer Marihuana-Sanftmut die Nerven verloren, als ihre Tochter unser
Gespräch unterbrach?
Vickys Ausbruch dem
Weitere Kostenlose Bücher