Dieser Sonntag hat's in sich
Kind gegenüber
hatte in keinem Verhältnis gestanden zu der schlichten Bitte, mit Freundinnen
Popcorn machen zu dürfen. Ich hatte gespürt, daß sie als Reaktion auf den Druck
durch meine Fragen so heftig wurde. Sie richtete ihre Panik oder Feindseligkeit
oder was auch immer gegen ein bequemes und hilfloses Opfer.
Da war sie also — die Szene, und alles
stimmte, lediglich die beiden Schlüsselrollen waren unbesetzt. Wer war die
Person, mit der Rudy Goldring eine Verabredung hatte? Und wie hieß die hübsche,
dunkelhaarige Frau? War es ein und dieselbe Person? Möglicherweise, wenn die Frau
ihn getötet hatte und dann in der Wohnung geblieben war. Aber angesichts des
panischen Zustandes, in dem ich sie vorgefunden hatte, zweifelte ich, daß sie
dazu in der Lage gewesen wäre.
Einer könnte mir vielleicht helfen, ein
bißchen Licht in das Dunkel zu bringen. Frank Wilkonson. Schon wieder etwas,
wogegen sich mein Gefühl sträubte: daß Wilkonson angeblich in die Stadt kam, um
sich zu »entspannen«.
Ich ging ins Haus und holte das
drahtlose Telefon. Ben Gallaghers Leitung bei der Justizbehörde war belegt. Ich
rief meine Freundin Sheila bei der Zulassungsstelle an; sie rief Wilkonsons
Adresse für mich ab: c/o Burning Oak Ranch, Postfach 1349, Hollister. Ich ging
zurück ins Haus und wühlte durch meine Sammlung von Straßenkarten, um zu sehen,
ob ich von der Gegend eine hatte. Aber ich hatte keine, und auf der Karte von
Kalifornien war Hollister nur ein Punkt etwa sechzig Kilometer südöstlich von
San José. Das einzige, was ich von Hollister wußte, war, daß es in den späten
vierziger Jahren von einer Motorradbande terrorisiert worden war. Dieser
Vorfall war die Vorlage gewesen für den klassischen Motorradfilm Der Wilde mit
Marlon Brando.
Ich legte die Karte weg und versuchte
es noch mal bei der Justizbehörde. Dieses Mal antwortete Gallagher. Er war
offensichtlich beschäftigt und kurz angebunden, aber er gab mir die
Informationen, die ich brauchte: Der Leichenbeschauer hatte in seiner
vorläufigen Untersuchung festgestellt, daß Rudy Goldring an einer Gehirnblutung
gestorben war, die entstanden war, als er am Montagmorgen etwa um elf Uhr mit
dem Kopf gegen seinen Küchenherd geschlagen war. Der vollständige
Autopsiebericht würde erst in zwei oder mehr Wochen vorliegen — was bewies, wie
überarbeitet und unterbesetzt die Gerichtsmedizin war. Gallagher sagte, daß die
Suche nach Bob hoteau Fortschritte mache, daß es aber eine Weile dauern würde,
ihn im Park aufzustöbern.
»Aber wir kriegen ihn schon«, fügte er
hinzu — vermutlich mit mehr Optimismus, als er empfand. »Die Leute, die schon
lange im Park leben, wollen ebensowenig wie Sie oder ich, daß ein Mörder in
ihrer Umgebung frei herumläuft.«
Es lag mir auf der Zunge zu sagen, daß
ich nicht glaubte, daß Bob Rudy getötet hatte, aber er erhielt einen anderen
Anruf und brach das Gespräch abrupt ab.
Es war fast neun und Zeit, bei All
Souls aufzukreuzen und Rae von ihrem, wie ich annahm, Schmerzensbett — in
diesem Fall wohl eher Schmerzenssofa — aufzuscheuchen. Heute schien mir nicht
der geeignete Tag zu sein, meine neuen Pläne mit ihr in Angriff zu nehmen,
deshalb beschloß ich, ihr eine von meinen Vermißtenfahndungen zu übertragen.
Dann konnte sie beweisen, wie findig sie in ihrem Katerzustand war. Ich hatte
noch Gesprächsnotizen ins reine zu schreiben, meine wöchentliche
Spesenabrechnung zu machen und drei Leute zurückzurufen — was ich schon seit
mindestens zwei Tagen hätte tun sollen.
Und was dann? Ich könnte die Route vom
vergangenen Sonntag noch mal abfahren und mit den Leuten in den Pflanzencentern
reden, um herauszubekommen, nach wem Frank Wilkonson gesucht hatte. Das wäre
jedoch sehr aufwendig, gemessen am zu erwartenden Erfolg. Ich konnte nicht
sicher sein, daß dieselben Leute heute Dienst hatten, und selbst wenn ich sie
antraf, waren die Chancen recht mager, daß sie sich nach dem Kundenandrang der
letzten Woche gerade an Wilkonson erinnerten. Es wäre wohl besser, mit
Wilkonson selbst anzufangen. Wenn ich gut vorankäme, wäre ich mit meiner
Schreibtischarbeit bis Mittag fertig, und dann könnte ich zur Burning Oak Ranch
in der Nähe von Hollister düsen.
9
Hollister erwies sich als altes
Bauernstädtchen am östlichen Rand des flachen Ackerlandes, das sich von der
Autobahn 101 bis zu den Ausläufern der Diablo-Kette erstreckt. Das Land war
bedeckt mit Walnußhainen und Zwiebelfeldern, in der Stadt
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