Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
nippte an meinem Wein, um
Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, und sagte schließlich: »Rae, was willst du mit
deinem Leben machen?«
    »Mit meinem... was?«
    »Mit deinem Leben. Hast du einen
Traum?«
    »Ich? Ja, natürlich.«
    »Und der ist?«
    »Nun, ich glaube, ich will so werden
wie du.«
    Das verblüffte mich. Ich war noch nie
ein Vorbild gewesen. Als ich nicht antwortete, warf mir Rae einen leicht
vorwurfsvollen Blick zu und trank ihr Bier aus. Sie schaute zur Bar hinüber,
und Brian, der Barkeeper, signalisierte ihr, daß er noch ein Bud für sie
zapfte. Das verärgerte mich etwas; das Remedy hat keinen Kellner, aber Brian
hatte Rae das Bier an unseren Tisch gebracht, als ob das so üblich wäre. In all
den Jahren, in denen ich hierhergekommen war, hatte er sich nie in irgendeiner
Weise um mich — oder irgendeinen anderen Gast — bemüht.
    Ich betrachtete Rae: ihre ungepflegten,
kastanienbraunen Locken, sie legte nie Make-up auf, der schäbige Mantel, der
mottenzerfressene Pulli. Meistens sah sie aus wie Kraut und Rüben, und selbst
an ihren guten Tagen ähnelte sie einer Halbtoten. Und doch hatte sie so viel zu
bieten — so große Intelligenz und so viel Humor und Mut daß das sogar Brian
aufgefallen war, der seit 1952 vermutlich keinen Gast der Remedy wirklich
wahrgenommen hatte. Es war eine Schande, daß sie bereit war, ihr Leben dem
»bedürftigen« Doug zu opfern. »Wenn du sagst, du möchtest so wie ich sein,
meinst du wohl, daß du deine Lizenz willst und einen guten Job, der dir ein
gewisses Maß an Freiheit und Flexibilität gibt.«
    Sie nickte und nahm Brian das Bier ab.
    »Wie steht es mit Doug? Will er das
auch für dich?«
    »...ja, ich glaube schon.«
    Ich versuchte eine andere Taktik. »Hat
Doug auch einen Traum?«
    Kaum hatte ich diese Worte
ausgesprochen, ging eine Veränderung in ihr vor: Ihr Gesicht wurde lebendig,
und sie hielt sich sogar gerader. »Ja — er schreibt wundervoll. Er will
Kurzgeschichten verkaufen, an Zeitschriften wie The New Yorker.«
    Ich zuckte innerlich zusammen. Ich
kannte ein paar Autoren von Kurzgeschichten; keiner von ihnen verdiente viel.
Rae fuhr fort: »Das ist einer der Gründe, warum Doug erwägt, den
Magisterabschluß zu machen. Er ist in einem Kurs für englische Literatur, aber
das gefällt ihm nicht. Er möchte eigentlich in den Kurs ›Kreativ Schreibern
überwechseln.«
    Ich dachte an das Gespräch, das ich mit
Rae vor ein paar Monaten geführt hatte. Sie hatte mir erzählt, daß Doug, bevor
er das Englischstudium an der San Francisco University begonnen hatte, in
Berkeley Filmproduktion studiert hatte. Zwei Jahre zuvor, kurz nachdem sie
geheiratet hatten, hatte er in Berkeley an einem Abschluß im Bereich
Journalismus gearbeitet.
    Mein Schweigen verriet Rae meine
Gedanken. »Wenn er sich dafür entscheidet, dann ist das mit Sicherheit der
letzte Wechsel. Er hat sich nun endlich selbst gefunden. Ich glaube das
wirklich.«
    Sie glaubte es wirklich. Ich konnte es
in ihren Augen lesen, in ihrer Stimme hören. Und vielleicht hatte sie recht;
sie kannte Doug schließlich besser als irgend jemand sonst. Aber es störte
mich, daß sie so darauf versessen war, seinen Traum zu verwirklichen und nicht
ihren eigenen.
    Das war jedoch ein philosophisches
Thema, über das wir die ganze Nacht diskutieren könnten, und ich hatte einige
eher praktische Probleme zu lösen. »Rae, wieviel verdienst du im Monat?«
    »Eintausend. Das weißt du doch.«
    »Und wieviel zahlst du Miete?«
    »Sechshundert, und dann sind da noch
die ganzen anderen Sachen.«
    »Somit bleiben dir...?«
    »Nun, nichts. Dazu kommen noch die
Ausgaben fürs Auto, für Nahrungsmittel und die Nebenkosten. — Stell dir vor,
der verdammte Vermieter will nun auch noch Geld für die Müllabfuhr und fürs
Wasser. Ich glaube nicht, daß das legal ist, und ich werde Hank fragen...«
    »Rae, willst du immer von der Hand in
den Mund leben?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Und willst du weiterhin bei All Souls
die Sklavenarbeit tun?«
    Ihre Finger umklammerten das Glas, ihre
Sommersprossen hoben sich dunkel von ihrem blassen Gesicht ab. »Wirfst du mich
raus?«
    »Um Gottes willen, nein! Antworte nur
auf meine Frage.«
    »Nein, natürlich nicht. Ich will meine
Lizenz als Detektivin bekommen. Ich habe das wirklich gemeint, als ich sagte,
ich wolle so werden wie du.«
    »Ob du die Lizenz bekommst, hängt davon
ab, ob du für mich gute Arbeit leistest.«
    »Mein Gott, Sharon...«
    »Wimmere nicht. Ich kann Wimmern

Weitere Kostenlose Bücher