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Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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würde.
     
     
     

15
     
    Es war vermutlich unhöflich, an einem
Sonntagmorgen um acht eine möglicherweise feindselig gesonnene Zeugin zu
belästigen, aber in der gegenwärtigen Situation scherte ich mich nicht um
Konventionen. Die Papiertasche in Bob Choteaus Versteck und Vickys Lüge, was
ihren BMW und Irene Lasser betraf, machten Vicky Cushman zu einer
Schlüsselfigur in dieser Geschichte, die ich im Geiste meinen Fall nannte. Es
wurde Zeit herauszufinden, in welcher Beziehung sie zu den anderen Personen
stand.
    Vicky wäre besser beraten, nicht sauer
auf mich zu sein, dachte ich, während ich mein Auto neben der Mauer zu den
»Schlössern« parkte. Sie hält sich vielleicht für ausgekocht, weil sie es mit
Konzernen und der medizinischen Fakultät der Universität von Kalifornien aufnimmt,
aber sie hatte es noch nie mit einer entschlossenen McCone zu tun.
    Zu meiner Überraschung summte der
Türöffner sofort, nachdem ich den Knopf gedrückt hatte. Eigentlich hatte ich
eher damit gerechnet, eine verschlafene Stimme aus der Sprechanlage zu hören.
Ich ging durch das Tor und folgte dem Weg unter den Eukalyptusbäumen. Die Luft
war unbewegt, und die Blätter waren feucht; über dem Rasen lag eine silbrig
glänzende Decke aus Tautropfen. Vor mir hörte ich eine Tür ins Schloß fallen,
und als ich in die Richtung schaute, aus der das Geräusch kam, sah ich Gerry
Cushman aus dem Haus links vom Hauptgebäude herauskommen, wo sich, wie ich
annahm, die Schlafzimmer befanden.
    Gerry war ein großer, schlanker Mann.
Sein federnder Gang zeugte von einem hohen Maß an Energie. Er hatte schwarzes,
lockiges Haar, und in der Mitte seines Haaransatzes stand eine Locke wie ein
Korkenzieher frech in die Höhe. Auf den Parties bei All Souls war er anfangs
immer ziemlich ruhig; doch nach ein paar Drinks taute er regelmäßig auf und
beherrschte mit seiner witzigen und gestenreichen Art bald alle Gespräche.
Trotz seines etwas eigentümlichen Aussehens schienen Frauen sich von seiner
offensichtlichen Lebensfreude sehr angezogen zu fühlen; ich hatte gehört, daß
er einer gelegentlichen Liebesaffäre nicht abgeneigt sei. Vermutlich war Vicky
so beschäftigt mit ihren Bürgerinitiativen, daß sie davon nichts merkte — oder
vielleicht war es ihr einfach gleichgültig.
    An diesem Morgen schien ihm jedoch
nichts besondere Freude zu bereiten. Er trug einen Satz zusammengerollter Pläne
unter dem Arm und blickte ziemlich finster in die Gegend. Die Hände hatte er in
den Taschen seiner schicken karierten Jacke vergraben. Als er mich sah, blieb
er stehen und starrte mich wortlos an.
    »Gerry«, sagte ich. »Sharon McCone von
All Souls.«
    »O ja, richtig. Ich wußte nicht, wo ich
Sie hintun sollte. Vicky erwähnte, daß Sie vor ein paar Tagen vorbeigekommen
sind.«
    Wie auf ein Stichwort öffnete sich
eines der oberen Turmfenster hinter ihm, und Vicky streckte den Kopf raus. Ihre
krause Dauerwelle war in wilder Unordnung; selbst aus dieser Entfernung sah
ich, daß ihre Augen rot und geschwollen waren. Sie ignorierte mich und sah
Gerry an, wutverzerrt.
    »Gerry, du Scheißkerl!« schrie sie. »Du
Scheißkerl!« Dann trat sie vom Fenster zurück und knallte es zu.
    Gerry schien in seiner weiten Jacke
zusammenzuschrumpfen. Er schaute sich nicht einmal mehr um, sondern ging mit
gebeugtem Kopf und gesenkten Augen zum Tor.
    »Das hat mir gerade noch gefehlt«,
sagte er. »Genauso wollte ich meinen Tag anfangen.«
    Ich ging neben ihm her, um zuerst mit
ihm zu reden und mich etwas in die Situation einzufühlen, bevor ich mit Vicky
sprach.
    »Ich muß nach Carmel Highlands
hinüberfahren und mit einem Kunden einen Bauplatz besichtigen«, sagte Gerry.
»Er holt mich ab; ich dachte, daß er es wäre, als ich Sie hereinließ. Das wäre
ja toll gewesen, wenn er das mitbekommen hätte. Eine hübsche Szene für einen
Kunden, nicht wahr?«
    »Alle Leute haben ihre schlechten Tage —
jeder versteht das.«
    Er lachte bitter. »Vicky scheint
besonders viele schlechte Tage zu haben.«
    Jenseits der Mauer hielt anscheinend
ein Lieferwagen mit Dieselmotor. Gerry schaute ängstlich zum Tor. »Da ist mein
Kunde. Ich muß los. Könnten Sie mir einen Gefallen tun?«
    »Gerne.«
    »Gehen Sie rein und versuchen Sie, ihr
gut zuzureden. Beruhigen Sie sie. Vielleicht können Sie verhindern, daß sie
jetzt schon mit Gras oder Wein anfängt. Würden Sie das für mich tun?«
    »Ich kann es versuchen.«
    »Das ist das einzige, was man für Vicky
tun kann.«
    Er

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