Dieser Sonntag hat's in sich
verraten, wo Rina sich
aufhält?« fragte ich.
Lindy nickte.
»Wem?«
»Ich weiß nicht. Sie hat nur gesagt,
sie würde es verraten.«
»Glaubt eure Mutter, daß euer Papa mit
Rina ein Verhältnis hat?«
Lindy wandte sich abrupt weg. Betsy
nickte mit Tränen in den Augen. »Rina würde das nie tun«, sagte sie.
Nicht Papa würde das nie tun, sondern
Rina. Diese Kinder wurden schnell erwachsen.
Wir waren jetzt schon nahe beim Auto.
Ich sagte: »Natürlich nicht. Eure Mutter ist nur...«
»Verrückt«, sagte Lindy tonlos.
Darauf wußte ich keine Antwort. Als wir
bei dem BMW ankamen, sah ich hinten einen Kindersitz, aus dem ein kleiner Kopf
herausragte. »Ihr steigt hinten ein und setzt euch zu Susan, einverstanden?«
fragte ich. »Ich möchte bei Rina sitzen.«
Sie nickten beide und liefen zum Auto.
Während Lindy hinten einstieg, schob ich mich auf den Beifahrersitz.
Irene, die sich umgedreht hatte, um die
Mädchen zu begrüßen, fuhr zu mir herum. Sie wurde sehr bleich.
»Hallo, Rina«, sagte ich. »Die Mädchen
sind heute ein bißchen niedergeschlagen. Vielleicht sollten wir mit ihnen einen
Ausflug machen und irgendwo ein Eis essen.«
Irene biß sich auf die Unterlippe und
schaute über die Schulter nach hinten. Betsy redete zärtlich auf Susan ein,
aber Lindy saß ganz still da und beobachtete uns. »Sicher«, sagte sie nach
einer kleinen Pause. »Das ist eine gute Idee.«
Langsam griff sie nach dem Schlüssel
und startete das Auto. Dann legte sie beide Hände auf das Lenkrad und schaute
in den Rückspiegel, bevor sie losfuhr. Ihre Bewegungen ähnelten denen eines
Anfängers, der Schritt für Schritt ausführt, was er in der Fahrschule gelernt
hat.
Leise sagte ich: »Tut mir leid — ich
tue Ihnen nichts, aber wir müssen uns unterhalten. Lassen Sie uns um der Kinder
willen so tun, als wäre nichts geschehen.«
Sie warf mir einen schnellen
Seitenblick zu und schaute dann wieder auf die Straße. Ich spürte, daß sie sich
ein wenig entspannte. »Wie war’s in der Schule, ihr beiden?« fragte sie. Ihre
Stimme bebte nur leicht.
»Schrecklich«, sagte Betsy. »Das Band
von meinem Turnschuh ist gerissen, und in Mathe bin ich zweimal aufgerufen
worden und hab’ die Antwort nicht gewußt, und das Mittagessen war zum
Kotzen...«
»Betsy.«
»Es gab Thunfischüberraschung, das ist
zum Kotzen.«
Irenes Mund zuckte, und sie schaute zu
mir herüber. Ich mußte auch lächeln. Das schien sie zu beruhigen, denn ihre
Stimme klang sicherer. »Das reicht jetzt, Betsy.«
»Mama sagt das die ganze Zeit. ›Die
medizinische Fakultät an der Uni ist zum Kotzen. Diese Supermarkt-Kapitalisten
sind zum Kotzen.‹«
»Betsy! Sollen wir dich zu Hause
abladen, bevor wir Eis essen gehen?«
»Nein!«
»Dann hör auf, solche Worte in den Mund
zu nehmen.«
Betsy verstummte. Ich schaute zu Lindy
hinter uns und stellte fest, daß sie entschlossen aus dem Fenster starrte.
»Wohin sollen wir fahren?« fragte ich.
Irene konzentrierte sich auf den
Verkehr. »Das müssen Sie entscheiden.«
»Wie wäre es mit dem Park?«
»Gut — und wohin da?«
»Zur Murphy-Windmühle?« Ich war
neugierig, wie sie auf die Erwähnung von Bob Choteaus Versteck reagieren würde.
Sie sah nur überrascht aus. »Ist das die, die restauriert worden ist? Die
Gärten sind schön, aber ich glaube nicht, daß wir dort Eis bekommen können.«
Die Antwort schien ehrlich zu sein — und das verblüffte mich.
»Wie wäre es mit Stowe Lake?« fragte
ich. »Wir könnten in der Eisdiele Eis kaufen und für die Mädchen ein Paddelboot
mieten. Dann sind sie beschäftigt, während wir uns unterhalten.«
Sie lächelte schwach. »Sie scheinen mit
Kindern umgehen zu können.«
»Das ist kein Wunder. Mein älterer
Bruder hat zwei, und meine jüngeren Schwestern haben zusammen neun.«
Irene schaute über ihre Schulter nach
hinten auf das Kleinkind in seinem Sitz. »Ich habe nur das eine, aber sie
bedeutet mir alles. Ich würde eher jemanden umbringen, als zuzulassen, daß ihr
etwas geschieht.« Ihr wild entschlossener Gesichtsausdruck unterstrich ihre
Worte, die offenbar als Warnung an mich gerichtet waren.
19
Fast eine Stunde später erreichten
Irene, Susan und ich den chinesischen Pavillon am Stowe Lake. Wir hatten für
die Mädchen ein Paddelboot gemietet und ihnen gesagt, sie sollten um den See
herumfahren, bis wir sie vom Pavillon aus sehen könnten ; dann würden wir uns
auf den Rückweg zum Landesteg machen.
Der Pavillon, ein kleines
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