Dieser Sonntag hat's in sich
erwiesenermaßen beträchtlich gesunken sind. Ich
wußte das von meinen häufigen Besuchen in Greg Marcus’ Büro; ich hatte die
Aktenpakete gesehen, die sich an den Wänden des Mannschaftsraumes stapeln. Die
Abteilung ist überarbeitet und personell unterbesetzt. Nur wenn wie durch ein
Wunder eine neue Spur auftaucht, können solche Fälle noch geklärt werden.
Das waren die Probleme, die Gallaghers
Verhalten mir gegenüber erklärten. Und deshalb zögerte ich auch, ihn
zurückzurufen und ihm zu erzählen, warum Goldrings Kundenkartei für mich
wichtig war, und war erst recht nicht bereit, ihm zu sagen, wo Bob Choteau sich
versteckte. Was ich von Frank Wilkonson und Irene Lasser wußte, wäre für ihn zu
vage für eine neue Spur. Wenn er Choteau fände, würde er den Fall für
abgeschlossen erklären und die Sache der Staatsanwaltschaft übergeben. Und wenn
die Nachforschungen erst einmal abgeschlossen sind, ist es sehr schwierig,
einen Fall wiederzueröffnen. Wenn Choteau erst einmal angeklagt wäre, würde es
mir wahrscheinlich überhaupt nicht gelingen, Gallagher für einen anderen
Tatverdächtigen zu interessieren. Aber noch schlimmer: ein Unschuldiger könnte
verurteilt werden.
Ich klopfte mit den Fingern auf den
Schreibtisch und starrte aus dem Fenster. Im Süden, irgendwo über Daly City,
schwebte eine Nebelbank. Ich fragte mich, ob Goldrings Firma wohl noch zu
erreichen war? Wenn ja, dann konnte mir Mrs. Halvorsen, die Frau, die sich um
alles zu kümmern schien, vielleicht helfen.
Mrs. Halvorsen sagte mir am Telefon,
daß sie noch dabliebe, bis die Firma verkauft sei. »Der Verkauf wurde in Mr.
Goldrings Testament vorgesehen«, fügte sie hinzu, »weil es keine Erben gibt,
die das Geschäft weiterführen könnten.«
»Wie steht es mit Irene und Susan
Lasser?«
»Die? Oh, das sind keine Verwandten,
und das waren auch nur kleine Vermächtnisse. Ich weiß das, denn ich habe das
Testament als Zeugin unterschrieben.«
»Kennen Sie denn Irene Lasser?«
»Natürlich. Sie ist eine nette Person.
Sie besuchte Mr. Goldring oft. Sie hat ihm all die Pflanzen geschenkt, die wir
im Büro haben.«
»Ich verstehe nicht ganz, in welcher
Beziehung die beiden zueinander standen. Wenn Irene nicht zur Familie
gehört...«
»Sie gehört praktisch dazu. Irenes
Vater und Mr. Goldring waren zusammen im College, und sie hat den Kontakt auch
nach dem Tod ihrer Eltern aufrechterhalten. Als sie nach ihrer Scheidung Arbeit
suchte, hat Mr. Goldring ihr eine Anstellung bei einem seiner Kunden
verschafft.«
»Gerry Cushman.«
»Ja. Es war ideal; die Cushmans
brauchten jemanden, der bei ihnen wohnte und sich um ihre Töchter kümmerte; sie
haben genug Platz, und es störte sie nicht, daß Irene selbst ein kleines
Mädchen hatte. Ich hatte auch den Eindruck, daß Irene Schutz suchte — vielleicht
ein eifersüchtiger Exmann — , und nirgendwo in der Stadt wohnt man so sicher
wie in den ›Schlössern‹. Aber ich plappere hier so vor mich hin. Womit kann ich
Ihnen helfen?« /
Warum hatte ich nicht schon früher
daran gedacht, mit Mrs. Halvorsen zu sprechen? Ich hätte mir eine Menge Mühe
ersparen können. »Sie haben meine Frage schon beantwortet«, sagte ich.
»Herzlichen Dank.«
Es war nach ein Uhr, Zeit, mich
nochmals ans Telefon zu hängen. Aber bevor ich die Anrufer auf den Notizzetteln
zurückrief, schlug ich die Nummer der Abbott School nach und rief dort an. An
der Information sagte man mir, daß der Unterricht um halb vier zu Ende sei.
Um zwanzig nach drei lehnte ich an
einer Platane vor der Schule. Der BMW der Cushmans mit Irene Lasser am Steuer
hatte sich gerade in die Schlange der wartenden Autos eingereiht. Bald darauf
fuhr ein Schulbus vor und versperrte mir den Blick auf den Wagen — das war ganz
gut so, denn dann konnte mich Irene auch nicht sehen.
Um ehrlich zu sein, ein bißchen kam ich
mir vor wie ein Perverser, der auf einem Schulhof herumschleicht; wenn die
Cushman-Kinder erschienen, würde ich mich wahrscheinlich zurückhalten müssen,
um sie nicht zu fragen, ob sie ein Stück Schokolade wollten. Ich ertappte mich
dabei, wie ich grinste, und schaute mich schuldbewußt um, ob mich jemand
beobachtete. Warum fiel mir immer solcher Blödsinn ein, wenn ich unter
Anspannung stand?
Um halb vier begannen die Kinder aus
der Schule herauszuströmen. Ich weiß nicht, warum ich erwartet hatte, daß sie
ruhig sein würden; Kinder wohlhabender Eltern sind von Natur aus auch nicht
gesitteter als
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