Dieser Weg wird kein leichter sein
ins Tor. Besondere Spiele erfordern anscheinend besondere Tore. Die Art, wie ich diesen Treffer bejubelt habe, setzte noch einmal Emotionen frei und das Publikum war schon jetzt aus dem Häuschen. Dass sich alles nochmals steigern könnte, daran dachte in der Halbzeit keiner. Denn auch die Bayern hielten ein 0:0 in Hamburg. Es hatte sich also noch nichts getan. Nach der Pause lief das Spiel für uns wesentlich besser, ohne dass wir aber ein Tor erzielten. Das erledigte Unterhaching 20 Minuten vor Schluss. War das nun das Ende? Diese Frage stellten sich höchstens Fans oder Journalisten. Denn uns auf dem Platz war klar, dass wir noch zulegen konnten. Und das zeigte dann Jörg Böhme. Innerhalb von zwei Minuten machte er zwei Tore! Und wir waren wieder vorne. Das Stadion flippte total aus und Ebbe Sand setzte nochmals einen drauf, als er kurz vor Schluss noch das 5:3 erzielte.
Doch die Bayern hielten ein 0:0 und unter diesen Voraussetzungen würde das Original der Meisterschale in Hamburg an die Münchener verliehen werden. Bei uns auf der Tribüne wartete für den Fall der Fälle ein Duplikat. Und dieser Fall trat ja dann ein. Wenn auch nur für vier Minuten. Die »kürzeste Meisterfeier der Bundesligageschichte« nannte dieses Zeitfenster ein Witzbold damals, für uns Spieler und die Fans aber war es ein emotionaler Ausnahmezustand, auf den jeder anders reagierte.
Es gibt keinen FuÃballgott
Aber zur Chronologie: Kurz nach dem Tor durch Ebbe Sand fiel ein Tor in Hamburg. Nach 89 Minuten und fünf Sekunden köpfte Barbarez das 1:0 für den HSV. Für die meisten Radio- und Fernsehkommentatoren war die Meisterschaft für uns entschieden. Auch wir auf dem Platz bekamen jetzt das Tor der Hamburger mit und schauten uns gegenseitig fast ungläubig an: Wir sind Meister!
Dann der Abpfiff auf Schalke, es gibt kein Halten mehr für die Fans. Die Anhänger stürmen den Platz, Huub Stevens winkt uns in Richtung Kabine. Die meisten machen sich auf den Weg dahin. Andy Möller gibt schon mal ein Meisterinterview, ein Premiere -Reporter hat ihm dabei die Meisterschaft bestätigt. Auf dem Weg in die Kabine bekommen wir Bier in die Hand gedrückt und ich trinke schon mal einen Schluck. In der Kabine selbst ist es unruhig, auch weil in der Trainerkabine der Fernseher läuft und sich eine Traube von Spielern und Betreuern darum geschart hat. »Das Spiel in Hamburg läuft noch!«, ruft mir einer zu. Ich denke noch, das gibt es doch nicht, da pfeift Schiedsrichter Merck einen Freistoà für die Bayern im Strafraum des HSV. Ausgerechnet der Ex-Schalker Matthias Schober im Tor des HSV hat einen Rückpass mit der Hand aufgenommen. Indirekter FreistoÃ! Ich wende mich vom Bildschirm ab, kann gar nicht hinschauen. Einen Bruchteil eines Moments später fliegen Flaschen. Bayern trifft durch Anderson zum 1:1, das Spiel in Hamburg wird nicht wieder angepfiffen. München ist Meister.
Augenblicklich war es ruhig, in der Kabine sprach niemand mehr, einige weinten. Sie war gespenstisch, diese Stille. Gerade noch träumst du von der gröÃten Feier deines Lebens und plötzlich wird diese zur Trauerfeier. Wir zogen uns um und gingen auf die Tribüne, ich sah Fans auf dem Rasen, Familienväter mit Kindern, die weinten. Auch Rudi Assauer, Mike Büskens lieÃen ihren Tränen freien Lauf. Fast alle Zuschauer waren noch da und sangen nach dem Schock der Mannschaft »Youâll never walk alone«. Wer jemals daran glaubte, dass der FuÃball emotionslos und kalt geworden ist, wurde in diesen Minuten eines Besseren belehrt. Schalke war Vizemeister und für die Fans »Meister der Herzen«. Vielleicht hat dieses traumatische Erlebnis Fans und Verein damals noch stärker zusammengeschweiÃt als eine mögliche Meisterschaft.
Warum ich nicht geweint habe
Oft wurde mir die Frage gestellt, warum ich nicht geweint habe an diesem Tag. Denn auch als wir uns geraume Zeit nach dem Spiel in der Geschäftsstelle trafen und die Fans uns immer noch feierten, war ich traurig, aber Tränen waren nicht sofort geflossen. Die kamen lange nachher, auf dem Weg zum ersten Spiel im Nationalteam. Da merkte ich, wie belastend dieses Jahr und auch dieses »Endspiel« um die Meisterschaft für mich gewesen waren. Ich bin ein Emotionssammler, wenn man so will: Irgendwann kommt raus, was raus muss. Meine Frau Linda bekam meine plötzlichen Tränen mit und
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