Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
leichter zu ertragen. Man müsste eine Maschine erfinden, die das echte Leben in ein paradiesisches Leben umwandelt. Leben rein, umrühren, Traum raus. Mama sagt immer: »Man kann nicht alles haben.« Alles möchte ich auch nicht. Nur ein bisschen was davon.
Am nächsten Morgen stand Lars um 8.30 Uhr mit einem silbernen Audi Quattro vor unserem Haus. Er war schon ganz früh aus Berlin losgefahren, nur um mich zu überraschen. Ich hüpfte vor Glück. »Hast du davon gewusst?«, schrie ich Mama an, die sich sofort lachend wegdrehte.
Um 9 Uhr hatte ich nämlich einen wichtigen Termin im Krankenhaus, und Lars sagte, dass er extra gekommen sei, um mir beizustehen. Weil Brüder das so machten. Das fand ich toll. Ich weiß ja, wie gerne er morgens ausschläft. Ich drückte ihn so fest ich konnte, und er erlaubte mir sogar, vorne zu sitzen.
»War ja klar, dass ich wieder in die zweite Reihe muss«, sagte Mama aus Spaß und ließ sich auf die Rückbank plumpsen.
Lars ließ den Motor laut aufheulen. Ich klatschte wie wild in die Hände und lachte: »Hahaha, jetzt macht sich Mama in die Hose. Hose. Hoooose.«
Dann grinste er von der Seite, gab Gas, die Reifen quietschten, Mama schrie irgendwas von hinten, und ich war es plötzlich, der sich fast in die Hose machte. Boah, war das geil! Ich bemerkte ziemlich schnell, dass Lars nicht angeschnallt war, was ich überhaupt nicht in Ordnung fand.
Ich schaltete die Musik aus, drehte mich zu ihm und sagte: »Bitte leg dir den Gurt um, bitte, bitte. Ich möchte nicht, dass du stirbst, wenn wir einen Unfall bauen.«
»Mach ich, tut mir leid«, sagte er leise.
»Und bitte fahr vorsichtig.«
»Ist okay.«
Immer wenn wir an einer Ampel hielten, ging automatisch der Motor aus, was mich etwas irritierte, aber Lars erklärte mir, dass das bei den meisten neuen Autos jetzt so sei, um Benzin zu sparen. Ich kannte das nicht. Das Auto meines Papas ist eine alte Gurke. Aber es fährt. Er sagt immer: »Solange sie uns von A nach B bringt, gibt es keinen Grund zu meckern.« Tue ich auch nicht. Ich glaube, dass Papa gerne einen Mercedes fahren würde. Aber wie sagt Mama: »Man kann nicht alles haben im Leben.«
Wir parkten das Auto in der Straße vor dem Krankenhaus und mussten noch ein paar Meter eine kleine Allee entlanglaufen. Lars hatte sich die Sauerstofftasche umgehängt, damit Mama sie nicht tragen musste. Ich ging extra etwas schneller, damit ich mit keinem der beiden reden musste. Ich brauchte einen Augenblick für mich allein.
Um 8.57 Uhr betrat ich, ohne mich umzusehen, den Haupteingang. Mama kannte den Weg ebenso auswendig wie ich.
»Warum muss ich wieder ins Krankenhaus?«, hatte ich Mama gefragt, bevor Lars uns abholen kam. Natürlich kannte ich den Grund – zur Blutabnahme, aber Mama wusste ganz genau, was ich damit wirklich meinte. Ich frage sie das ja immer wieder, und noch nie hatte sie mir eine Antwort geben können. Eine richtige Antwort, meine ich. Die Ärzte können mir nicht mehr helfen. Alles, was sie tun, ist bedeutungslos. Ich weiß das, Mama weiß das, der liebe Gott weiß das sowieso. Trotzdem macht Mama immer weiter diese beschissenen Termine aus, schleppt mich auf leeren Magen (was ich hasse!) ins Todeshaus, nur um zwei Wochen später alles zu wiederholen. Warum tut sie mir das an? Wenn die Ärzte wenigstens etwas finden würden! Aber das tun sie nie. Nie, wirklich nie! Alles, was sie machen, ist ihr eigenes Gewissen zu beruhigen. Sie glauben, ich durchschaue sie nicht, weil ich noch ein Kind bin. Aber da sind sie schiefgewickelt. Das Problem ist nur, ich kann nichts dagegen tun. Weil ich erst fünfzehn bin.
Wir mussten nicht lange im Wartezimmer bleiben, eine Viertelstunde vielleicht, bis eine Krankenschwester, die ich noch nie gesehen hatte, meinen Namen rief.
»Ich gehe alleine«, sagte ich, weil ich vor Lars tapfer sein wollte. Mama und er setzten sich wieder. Ich hatte mir fest vorgenommen durchzuhalten, aber als sich die fremde Krankenschwester im Behandlungszimmer ihre Handschuhe überzog und Begriffe verwendete, von denen ich noch nie etwas gehört hatte, und so eigenartig guckte, kamen plötzlich die Monster zurück, und mit ihnen die schlimmen Erinnerungen. Ich konnte nicht mehr.
»Ihr Arschlöcher«, schrie ich sie an und rannte aus dem Raum durch den Gang. »Lasst mich in Ruhe. Ich mach das nicht mehr mit.«
Die Frau an der Rezeption schaute mich an, schweigend und hilflos. Mama und Lars kamen mir entgegen, und ich drehte mich um, um in
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