Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
wir mussten uns nicht in den Bus zwängen. Ich mag Busfahren eigentlich, aber nicht, wenn es mir nicht gutgeht. Ich ließ Mama freiwillig vorne sitzen und legte mich auf die Rückbank. Es dauerte fast drei Stunden, bis mein Körper wieder einigermaßen zu Kräften kam. Ich war sofort in Partylaune.
»Aber zum Abendessen seid ihr wieder da!«, rief uns Mama im Befehlston hinterher, als wir schon in der offenen Haustür standen.
Lars und ich fuhren durch die Stadt, ohne ein bestimmtes Ziel. Wenn ich hübsche Mädchen sah, ließ ich die Scheibe an der Beifahrerseite herunter und rief ihnen hinterher: »Hey Chicas, wie wär’s heute Nacht?«
Die meisten guckten nur komisch oder zeigten mir den Vogel, aber genau darum ging es ja: Spaß haben und Leute verarschen. Ich fühlte mich wieder lebendig. Wenn ich zu Lars sagte: »Gib Gummi, Bruder!«, drückte er so lange aufs Gaspedal, bis ich wieder »Stop!« rief. Wir wurden bei unserem Spiel sogar zweimal geblitzt, aber Lars lachte nur, weil ihn das anscheinend nicht die Bohne interessierte. Papa wäre ausgeflippt. Zum Glück waren wir nicht mit seinem Auto unterwegs. Das hätte sonst richtig Ärger gegeben. Wenn Lars beschleunigte, und ich nach hinten in den Sitz gedrückt wurde, pochte mein Herz immer schneller. Zuerst hatte ich etwas Angst deswegen, aber dann war es nur noch geil.
»Weißt du, was wir in Berlin machen, wenn wir an einem Polizeiwagen vorbeikommen?«, fragte Lars, aber woher sollte ich das denn wissen? Er kam wohl darauf, weil wir gerade an einer Ampel standen und links von uns ein großer Polizeitransporter hielt. Ich schaute wieder zu Lars und schüttelte den Kopf. »Wir machen mit der rechten Hand das Westside-Zeichen, indem wir die Finger zu einem W überkreuzen und dann rufen wir: Fick die Polizei! «
»Das macht man so in Berlin? Wie geil ist das denn? Fick die Polizei! Fick die Polizei!«
Lars machte die Musik lauter, bog langsam in die Straße ein, wo die Reeperbahn liegt, und wir guckten den Prostituierten beim Rumstehen zu.
»Ist denen nicht kalt?«, fragte ich.
»Ich fürchte schon«, sagte Lars und lehnte sich halb über mich, um besser sehen zu können.
»Die Frauen tun mir leid.«
»Life is a bitch!«
»Was hast du gesagt?«
»Ich sagte: Let’s get rich!«
»Häh?«
»Bock auf’n Burger?«
Das verstand ich besser und freute mich schon, aber dann erinnerte ich mich daran, dass es bei Mama gleich Abendessen gab. Lars fragte, seit wann wir immer auf Eltern hören würden, und ich nickte mit einer Mischung aus Aufregung und schlechtem Gewissen. Ein kleiner Cheeseburger wäre schon nicht so schlimm, aber als Lars sich nur einen Gartensalat bestellte, sagte ich schnell: »Ich will alles, was du auch hast.«
»Und wenn ich hundert Big Mäcs essen würde?«, lachte er.
»Dann schaffe ich das auch.«
»Das will ich hören, Champ!«
Ich hatte noch nicht mal meine Schuhe ausgezogen, da platzte es auch schon aus mir heraus: »Mama, Mama, weißt du, was mir Lars gerade beigebracht hat? Fick die Polizei!«
Sie sah mich mit großen Augen an: »Wie bitte?«
»Ja, das sagt man so in Berlin: Fick die Polizei! Und dann macht man so, guck!«
Mama schickte eine Million Fragezeichen in Lars’ Richtung, der sich schnell beide Hände vor sein Gesicht hielt. Dann grinste er und sagte: »Weißt du, du lässt mich immer schön ins offene Messer laufen. Aber kein Problem, dafür bin ich ja da.«
Ich hüpfte um Mama und Lars herum und verstand nicht, wie er das meinte. Was denn für ein Messer?
»Ich muss das jetzt nicht verstehen, oder?«, fragte Mama irritiert, und Lars lachte nur und sagte: »Nein, ist alles okay. Ist ein Geheimnis unter Brüdern. Jedenfalls war es das bis jetzt.«
»Ach, scheiße«, entschuldigte ich mich. »Das war ein Geheimnis? Sorry, voll vergessen.«
»Schon okay«, lachte Lars.
Ich sah mich in der Küche um und sagte zu Mama, dass sie mir keinen Salat auf den Teller machen müsse, weil wir gerade von McDonald’s kämen …
10
Ginge es nach mir, könnten auf der Welt nur Kinder leben. Am liebsten habe ich Kinder, wenn sie noch ganz klein sind und noch nicht gelernt haben, fies und gemein zu sein. Diese Kinder habe ich alle lieb. Wenn ich behinderte Babys oder andere kranke Kinder sehe, werde ich traurig. Nicht nur wegen den Kindern, sondern wegen der Eltern und hauptsächlich der Mütter. Ich sehe das ja bei meiner Mama. Wie schlimm es um sie steht, weiß ich nicht genau. Auf jeden Fall ist sie öfter traurig als
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