Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
glücklich. Das kann ich in ihren Augen erkennen. Dieses Jahr war ganz furchtbar. Sie ist richtig eingesackt, auch wenn man ihr das auf den ersten Blick nicht ansieht, weil sie ziemlich gut beisammen ist. Aber so wie meine Mutter spürt, wenn es mir nicht gut geht, so spüre ich das auch bei ihr. Meine Mama und ich haben eine ganz besondere Beziehung, auch wenn ich das nicht immer zeigen kann. Wenn sie mit ihren Arbeitskolleginnen spricht oder mit ihren Freundinnen telefoniert, erzählt sie immer nur von mir, wie es mir geht, welche Krankheiten ich gerade wieder habe und wann die nächsten Krankenhaustermine anstehen. Selten spricht sie über Papa, weil dafür am Ende keine Zeit mehr bleibt. Ich mag es zwar, wenn sich alles um mich dreht, aber nicht so. Meine Mama muss lernen, mich loszulassen, auch wenn es ihr schwerfällt. Ich kann vorher nicht gehen, ich kann einfach nicht. Und sie muss lernen, nachts besser zu schlafen. Zu mir sagt sie immer, dass ich durch einen guten Schlaf wieder zu Kräften käme, aber ihr gelingt es einfach nicht. Der Tag, an dem sie zum ersten Mal richtig schlafen kann, ist wahrscheinlich der Tag, an dem wir Abschied nehmen. Hoffentlich kommt sie dann zur Ruhe und kann endlich das Leben führen, das sie verdient hat. Das wünsche ich mir. Vielleicht kann sie dann endlich ihre Wochenenden genießen und all die Dinge tun, die jetzt nicht gehen, weil ich noch da bin. Nie kann sie spontan sagen: Heute gehe ich ins Kino. Tag ein, Tag aus lebt sie in der Sorge, ob am nächsten Morgen mein Herz noch schlägt. Das ist doch kein Leben für eine Mama. Ich weiß das alles, weil sie es mir oft genug sagt. Ich werde Lars fragen, ob er mir Geld leihen kann, damit wir ihr einen schönen Blumenstrauß kaufen können. Darüber wird sie sich freuen.
Dafür ist der »Männerabend« mit Mario (Foto) und Lars der absolute Brüller.
11
»Wo warst du?«, fragte ich Lars vorwurfsvoll und zeigte auf die Uhr in meinem Klassenzimmer. »Ich habe doch ganz deutlich gesagt, dass du mich um 13.30 Uhr abholen sollst und nicht um 13.33 Uhr. Du bist drei Minuten zu spät, du Honk! Weißt du nicht, dass Zeit kostbar ist? Man kommt nicht zu spät. Wo hast du unser Auto geparkt?«
»Steht direkt vor dem Eingang«, sagte Lars.
»So, dass es alle sehen können?«
»Wie besprochen.«
»Okay, ich verzeihe dir«, sagte ich, »aber das nächste Mal bist du pünktlich. Wo sind wir denn hier?«
Lars nahm meine Tasche mit dem Sauerstoff vom Stuhl, winkte meiner Lehrerin zu und sagte: »Beim Militär, wenn du mich fragst.«
Wir hatten einen phantastischen Herbsttag erwischt. Die Sonne schien so warm vom Himmel herab, dass ich meine Jacke im Auto ausziehen durfte. Das gefiel mir besonders gut, weil ich so den schönen weichen Pullover präsentieren konnte, den Lars mir geschenkt hatte. Es war einmal seiner gewesen, aber nachdem seine Freundin ihn aus Versehen in die Waschmaschine gesteckt hatte, ist er eingelaufen, was doof für ihn war, aber gut für mich, denn er passte mir wie angegossen.
»Hunger?«, fragte Lars.
»Und wie«, stöhnte ich und ließ mich in den Sitz fallen.
Ich hatte mich schon den ganzen Vormittag auf unser gemeinsames Mittagessen gefreut. Lars kannte ein Restaurant, in dem es die besten Spaghetti carbonara von ganz Hamburg gab. Und ich hatte Kohldampf wie hundert Russen.
»Was gibt’s Neues?«, fragte er, während wir in Richtung Innenstadt fuhren.
»Nichts«, antwortete ich automatisch, weil ich das immer sage, wenn mir jemand diese Frage stellt, aber dann fühlte ich mich schlecht, weil ja wirklich etwas passiert war, was ich gerne erzählen wollte. »Ich habe Tommy aus meiner Klasse gefragt, ob er mein Freund sein möchte, also mein fester Freund, so wie Mädchen und Junge, aber eben Junge und Junge.«
Lars machte große Augen.
»Krass! Davon hast du mir ja gar nichts erzählt. Super Aktion! Und wie hat er reagiert?«
»Also, ich habe ihn zwischen der ersten und zweiten Stunde gefragt, als wir kleine Pause hatten, und er meinte, er würde darüber nachdenken und mir nach der großen Pause Bescheid geben.«
»Ja, und?«
Ich sagte: »Nach der großen Pause war Mathe.«
»Ist mir doch egal«, lachte Lars. »Von mir könntest du Unterricht in Marsmenschensprache gehabt haben. Alter, ich will wissen, was er gesagt hat.«
»Ach so«, sagte ich und rieb mir durchs Gesicht. »Er hat sich während der Stunde zu mir umgedreht und hat mit seinen Fingern heimlich ein Herz geformt und dabei lieb
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