Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
Süßigkeiten auf dem Sofatisch aus und begann zu futtern. Das musste ich erst mal verdauen. So etwas hatte ich noch nie mit eigenen Augen gesehen. Das gab es sonst nur im Fernsehen. Ich rief Mama an, um ihr alles zu erzählen, und sie fing gleich an zu weinen. Es waren aber gute Tränen, weil sie sich so für mich freute. Sie wusste über alles Bescheid. Nachdem ich endgültig realisiert hatte, was gerade passierte, bekam ich Hunger. Lars gab mir eine Karte und erklärte mir, wie der Zimmerservice funktionierte. Das war ziemlich praktisch, weil man nur zu telefonieren brauchte und schon wurde alles gebracht. Lars setzte sich neben mich und empfahl mir das Clubsandwich mit Pommes, weil das in solchen Hotels immer besonders gut schmecken würde. Als ich aber die Preise sah, bekam ich ein schlechtes Gewissen und sagte: »Lieber nicht. Können wir uns nicht draußen ein Restaurant suchen? Bitte!«
»Das können wir, aber ich fände es nicht schlecht, wenn du dich etwas ausruhen würdest. Ist alles klar bei dir?«
»Ja.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Du würdest es mir sagen, oder?«
»Keine Angst. Ich hab dir doch versprochen, dich nie anzuschwindeln.«
Lars nickte erleichtert, und ich warf ihm eine saure Pommes direkt in seinen offenen Mund. »Treffer versenkt«, rief ich und streckte die Arme in die Luft.
»Ich meine, weil Tamtam dabei ist. Nicht dass du denkst, du müsstest vor ihr Superman spielen. Okay?«
»Okay.«
»Wirklich?«
»Jahaaa!«
»Guck mal, das ist unser erstes großes Abenteuer ohne deine Mutter. Du kannst mir glauben, Alter, ich bin mindestens genauso aufgeregt wie du. Debbie hat mir zwar alle Arztunterlagen mitgegeben, deinen Behindertenausweis und eine ewig lange Liste mit Punkten, die ich im Ernstfall dem Notarzt zu sagen habe, aber wir beschließen jetzt einfach, dass nichts passiert und der ganze Scheiß bleibt im Koffer, okay?«
»Ja, okay.«
»Und falls doch, musst du mir helfen. Versprochen?«
»Mach dir keine Sorgen, Bruderherz. Ich sterbe schon nicht. Nicht heute. Dafür ist es hier viel zu schön.«
»Na, dann, dein Wort in Gottes Ohr.«
Ich ging zu ihm rüber und drückte ihn. Tamtam kam aus dem Bad zurück, wo sie sich für mich hübsch gamacht hatte, und wir suchten uns in der Nähe des Hotels ein schönes Restaurant aus. Ich durfte auf dem Weg dahin ihre Hand halten, was ich ganz toll fand. Es war sehr kalt, und der Wind fegte eisig um unsere Ohren. Wenn man aber die Hand eines Mädchens hält, wird einem gleich viel wärmer.
Das Restaurant hätte meinen Eltern gut gefallen. An den Wänden hingen große bunte Bilder und Bierkrüge und allerlei dekorativer Krimskrams und die Portionen, die die Kellnerinnen aus der Küche brachten, waren riesig. Der Laden war brechend voll, und zum Glück bekamen wir noch den letzten freien Tisch. Die Leute, die eine Minute nach uns kamen, wurden an die Bar geschickt, um dort zu warten. Wir bestellten Schnitzel mit Pommes und Bier und hatten ohne Ende Spaß. Tamtam sagte, dass Lars noch ein kleines Kind sei, viel jünger als ich, und dem konnte ich nur zustimmen. Ich erinnerte mich noch an den Tag, als ich Mama fragte, ob sie sicher sei, dass Lars schon über dreißig sei, weil er ständig Sachen mit mir machen wollte, die verboten waren: Schule schwänzen, fremde Leute mit Essen bewerfen oder mit seinem Auto im Halteverbot parken. Mama lachte damals und sagte, dass ich doch froh darüber sein sollte. War ich ja auch. Und wie. Trotzdem traute ich mich nur selten, bei seinen Aktionen mitzumachen, weil ich zu viel Angst hatte. Immer wenn etwas neu für mich ist, werde ich unsicher und so verhalte ich mich dann auch. Meistens stehe ich dann nur so herum, gucke ausdruckslos in die Luft oder tippe irgendwas in mein Handy. Ich schäme mich einfach. Lars sagt zwar immer, dass ich mich wegen nichts auf der Welt schämen müsse, aber ich kann es einfach nicht abstellen.
Die Frau am Nachbartisch beobachtete mich. Sie saß dort mit einem Mann, aber sie unterhielten sich gar nicht richtig. Tamtam meinte, die beiden hätten gerade ihr erstes Date, und die Frau sei vielleicht etwas unsicher deswegen. Es hätte nichts mit mir zu tun, dass sie ständig zu mir herüber guckte. Ich war anderer Meinung. Die blöde Kuh glotzte mich wegen meines Bieres an. Da war ich mir sicher. Sie wusste ja nicht, dass es alkoholfrei war. Ich wurde unruhig und traute mich nicht mehr, meinen Kopf zu heben, aber Tamtam nahm meine Hand und dann wurde es besser. Lars wollte mit
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