Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
mein Hausaufgabenheft, dass ich mein Praktikum auch in einem Reisebüro absolvieren könnte. Keine Ahnung, wie ich drauf kam. Vielleicht weil ich dort von all den schönen Plätzen dieser Welt träumen könnte, die ich niemals mehr mit meinen eigenen Augen sehen werde. Dann überlegte ich, was Lars gerade gesagt hatte, weil ich mir etwas davon gemerkt hatte. Es dauerte eine Weile, aber dann wusste ich es wieder. Ich sagte: »Irgendwann ist ein ziemlich bescheuertes Wort, weißt du das?«
Lars fragte: »Warum?«
Und ich antwortete: »Weil es bloß ein anderes Wort für niemals ist.«
Eine rote Rose für jedes Mädchen.
20
Papa war heute richtig sauer auf mich, und Mama musste den Begriff Honk für ihn googeln, weil er nämlich kein Honk sein wollte. Er motzte mich an, und ich musste in mein Zimmer gehen. Ich verstand nicht, warum Papa so beleidigt war. Ich schnappe diese Wörter in der Schule auf, oder im Fernsehen, oder sonst irgendwo, und plappere sie einfach nach. Über ihre Bedeutung mache ich mir keine Gedanken. Lars hat mir schon oft versucht zu erklären, was dieses Verhalten bei anderen Menschen auslöst, dass sie böse auf mich werden oder traurig, und dass ich, ließe ich diese Wörter einfach weg, deutlich weniger Probleme im Leben hätte. Meine Eltern würden mir viel mehr erlauben, ich dürfte länger wach bleiben und noch mehr Chips essen. Er bezeichnete das als taktieren, die Folgen meines Handels vorausahnen, aber genau das schaffe ich nicht. Ich denke immer nur von Augenblick zu Augenblick. Ich kann nicht anders. Wenn Mama zu mir sagt, dass wir in einem Monat eine wichtige Untersuchung im Krankenhaus haben, dann sehe ich nur eine Eins vor meinem Auge. Ein Monat oder ein Jahr – für mich macht das keinen Unterschied. Ich lebe heute, jetzt gerade, alles andere ist für mich bedeutungslos. Ich habe lernen müssen, mich nicht krampfhaft an etwas zu klammern, wie an den Traum etwa, wieder gesund zu werden, sondern aus jedem Tag das Beste zu machen. Was morgen sein wird, weiß doch sowieso nur der liebe Gott. Ich habe keine Vorstellung von der Zukunft und das bringt mich immer wieder in große Schwierigkeiten. Wenn ich Mama oder Papa oder Lars ärgere und zu ihnen Ausdrücke sage, wie Du Lusche oder Du Honk , dann denke ich mir nichts Böses dabei. Wirklich nicht.
Wenn ich abends durch die Wohnung hüpfe und ein bestimmtes Wort in meinem Kopf auftaucht, muss es raus. Sofort. Oft schiebe ich noch einen Lacher hinterher. Manchmal schreie ich auch oder tanze oder singe. Ganz egal. Vor allem, wenn ich einen langen Tag hatte. Dann muss diese Energie auf der Stelle aus meinem Körper, und ich drehe ein bisschen durch. Ich weiß das auch, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich kann das nicht still ertragen. Das ist so schwierig.
Mama kochte mir eine Nudelsuppe, und ich skypte mit Lars. Ich fühlte mich ein bisschen schwach auf der Brust, kalt war mir auch, aber die Suppe wärmte mich von innen.
»Du kommst übermorgen, oder?«, fragte ich, obwohl ich das ganz genau wusste.
Lars nickte.
»Wie spät?«
»Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder ich hole dich von der Schule ab, oder wir treffen uns bei dir zu Hause und ziehen von dort gemeinsam los.«
»Und dann bauen wir Scheiße!«, lachte ich.
»Wie immer.«
»Und am Samstag fahren wir gemeinsam nach Blankenese, weil ich da ein Vorstellungsgespräch habe. Du musst mir helfen.«
»Klar, das machen wir. Was ist das für ein Laden?«
Ich überlegte und überlegte, aber ich kam nicht drauf. Ich überlegte noch stärker, aber es fiel mir einfach nicht ein.
»Irgendwas mit P«, sagte ich.
Ich rührte mit der Gabel durch meine Suppe, und Lars nannte ganz viele Berufe. Es hatte etwas mit Stühlen zu tun, aber ich war mir nicht mehr sicher.
»Hast du so etwas schon mal gemacht?«
Ich schüttelte mit dem Kopf.
»Hast du darauf überhaupt Bock?«
»Hmm, weiß ich nicht. Also, ich will’s mir erstmal angucken, aber wenn’s mir da nicht gefällt, verschwinden wir einfach wieder.«
»Alles klar.«
Ich sah Lars an und war froh, dass er mich begleiten würde. Ich war ja noch nie bei einem Vorstellungsgespräch.
»Wie geht’s dir sonst?«, fragte Lars, und ich sagte: »Gut.«
»Keine Probleme heute?«
»Nein.«
Ich sagte ihm nicht die Wahrheit.
Am nächsten Tag bekam ich eine SMS: Bruderherz, habe am Wochenende ein Date in Hamburg. Mit einem Mädchen. Erzähle dir alles heute Abend.
Ich schrieb zurück: Ist sie hübsch?
Er antwortete: Blöde
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