Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
hast du mir vorher kein Wort davon gesagt, dass er sich eine dieser Krankenhausinfektionen eingefangen hat?«
»Was spielt das denn für eine Rolle?«
»Diese Superbazillus-Stämme sind resistent gegen Antibiotika. Ich darf mit so was auf keinen Fall in Berührung kommen!«
Beryl wirkte verdutzt. »Du bist doch eigentlich gesund. Es sind doch meist alte Leute, die zur Risikogruppe gehören. Ich kann ja nachvollziehen, dass du dir um Papa Sorgen machst, aber dass du dir deinetwegen Sorgen machst, versteh ich nicht. Es ist doch nur ein kleines Risiko, das du deinem Vater zuliebe eingehst.«
»Selbst wenn die Krankheit bei mir nicht ausbricht, könnte ich ja Träger werden!«
»Das wär nicht so toll, aber, na und …?«
»Glynis. Hallo? Meine Frau . Glynis hat ein total lädiertes Immunsystem. Eine Sache wie CDiff könnte sie das Leben kosten.«
»Herrje, du bist aber melodramatisch.«
»Ich zeig dir, was melodramatisch ist«, sagte Shep und stelzte hinaus zu seinem Auto.
SONNTAG UM FÜNF Uhr morgens kam er zu Hause an und stellte sich als Erstes noch mal unter die Dusche. Er warf seine Kleidung in die Waschmaschine und wählte den heißesten Waschgang. Er hatte ein schlechtes Gewissen, jede Spur seines Vaters so auslöschen zu müssen, aber für Sentimentalitäten war jetzt keine Zeit. Er nahm die Packung Reserveantibiotika, die Glynis für Notfallinfektionen im Haus hatte, und warf sich zwei Tabletten ein, bevor er sich unten auf der Couch zusammenrollte, um ein paar Stunden zu schlafen. Er haderte mit sich. Er hatte keinen Durchfall; eher Verstopfung, und das teigige Fastfood auf der Fahrt von New Hampshire würde die Sache nicht besser machen. Die Vorstellung, sich körperlich von Glynis fernhalten zu müssen, war ihm unerträglich. Aber wenn auch nur die geringste Gefahr von ihm ausging …
Dass seine Frau Angst vor ihm hatte, konnte er sich nicht leisten; er war es, der sie in erster Linie pflegte. Als Glynis also wach wurde und staunte, dass er schon wieder zu Hause war, erklärte er ihr, dass er sich nach einem langen, fruchtbaren, aber für seinen Vater erschöpfenden Besuch gestern Abend wieder auf den Weg gemacht habe, um nicht in den Feiertagsverkehr zu kommen. Dass er sie weder küsste noch berührte, schien sie zu übersehen, wobei sie unbewusst seine Distanziertheit bemerkt haben könnte. Insofern freute er sich besonders für sie, weil sie ausnahmsweise am Nachmittag Besuch erwartete.
Petra Carson hatte mit größerer Regelmäßigkeit vorbeigeschaut als die meisten Freundinnen seiner Frau, obwohl die alte Rivalin von der Saguaro-Kunstschule kein Auto besaß und von der Grand Central Station mit dem Zug kommen musste. Sie bestand auch jedes Mal darauf, ein Taxi vom Bahnhof und zurück zu nehmen, um Shep bloß keine Umstände zu machen.
Er wollte bestimmt nicht lauschen, aber wegen Thanksgiving war Isabel am Donnerstag nicht da gewesen, um das Haus seiner allwöchentlichen Reinigung zu unterziehen. Nachdem er Petra also ins Schlafzimmer geführt hatte, wo Glynis im Bett lag, machte er sich wieder daran, das Badezimmer am Ende des Flurs zu putzen. (Glynis’ letzter Einlauf hatte seine Spuren hinterlassen.) Petra muss die Schlafzimmertür offen gelassen haben, da ihr Gespräch selbst den Fernseher übertönte, den Glynis inzwischen den ganzen Tag lang leise laufen ließ.
Shep hatte Petra immer gemocht. Es mochte sein, dass Glynis die Arbeit ihrer Kollegin oberflächlich und konventionell fand, aber die Frau selbst verkörperte eine Ernsthaftigkeit und Rebellion gegen gesellschaftliche Normen, die er nur bewundern konnte. (Mit ihren siebenundvierzig Jahren war sie in zweiter Ehe mit einem Fünfundzwanzigjährigen verheiratet.) Insofern war Petra kein Mensch, der die impliziten »Betreten verboten«-Schilder ihrer Freundin selbstverständlich achtete; sind doch nur Schilder, würde sie möglicherweise mit einem Achselzucken sagen. Bei Petra musste Shep immer an Jed denken, den verwegenen Nachbarsjungen aus seiner Kindheit. Eines Nachmittags waren sie durch die Gegend gestreift und an eine eingezäunte Wiese mit diversen »Betreten verboten«-Schildern gekommen. »Da dürfen wir nicht rauf«, hatte Shep gesagt, und Jed hatte gesagt: »Wieso denn nicht?« – »Steht doch da, ›Betreten verboten‹«, sagte Shep, und Jed sagte: »Na und?« Und er hatte den Draht hochgezogen. Dieser kurze Augenblick war eine Offenbarung gewesen: als Shep sich unter dem Draht hindurchbückte und nichts geschah.
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