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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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waren nur bedingt wirksam. Also brachte sie kaum einen Bissen herunter. Das Timing war schlecht; sie war die halbe Nacht wach gewesen, und die Vorbereitungen dauerten so lange, dass Glynis kaum noch die Augen offenhalten konnte, als sie sich endlich an den Tisch setzten. Schlimmer noch, die ausgiebige Kochübung lenkte von allem anderen ab. Stunde um Stunde rührte und schnippelte Amelia vor sich hin, während Glynis auf dem Zweiersofa saß, immer wieder wegnickte und sich dann dafür entschuldigte, dass sie keine große Hilfe sei. Bestimmt hätte seine Frau sich mehr gefreut, wenn Amelia mit einem Tiefkühlhähnchen aus dem Supermarkt aufgetaucht wäre, sich ans andere Ende des Sofas gesetzt und den ganzen Tag lang mit ihrer Mutter geplaudert hätte.
    Zach dagegen hatte sich ohne weitere Aufforderung vonseiten seines Vater angewöhnt, nach der Schule im Elternschlafzimmer vorbeizuschauen und sich neben seiner Mutter auf dem Bett auszustrecken. Shep glaubte nicht, dass sie sich großartig unterhielten. Glynis guckte wahrscheinlich eine Kochsendung, die Zach unendlich langweilte. Dennoch fand er die beiden wieder mal so vor, als er an diesem Abend von der Arbeit nach Hause kam: Zachs ruhiger Blick war auf ein Rezept für »Bagels mit allem und Krautsalat« gerichtet, während er seiner Mutter behutsam die Hand hielt. Shep war sehr stolz auf seinen Sohn.
    Als Zach in die Küche schlenderte, um sich ein Sandwich zu machen, fragte Shep: »Und, wie war’s in der Schule?«, wobei er sich schämte, eine Frage zu stellen, die er selbst als Kind gehasst hatte.
    »Beschissen«, sagte Zach und wich dem Blick seines Vaters aus. »Gestern war’s beschissen, morgen wird’s auch wieder beschissen sein, du brauchst mir diese Frage also nicht mehr zu stellen.«
    Kurz vor Schulbeginn im Herbst war Shep widerwillig ins Zimmer seines Sohnes gegangen, um ihm zu sagen, dass sie ihn von seiner Privatschule nehmen mussten. Ein plötzlicher Schulwechsel im vorletzten Highschooljahr bedeutete die Trennung von seinen Freunden, weniger Wahlfächer, größere Klassen und eine weniger luxuriöse Schulumgebung. Um gleich mit der ganzen Wahrheit herauszurücken, fügte Shep hinzu, dass sie auch nicht mehr in der Lage sein würden, irgendein Elitecollege zu finanzieren; der Junge sollte über eine staatliche Universität nachdenken, und selbst dafür würde er Studienbeihilfe beantragen müssen. Zach hatte sich bisher nur eine einzige Entgleisung erlaubt: Als sein Vater erklärte, dass ihr restliches Geld für die Arztrechnungen seiner Mutter reserviert werden müsse, platzte dem Jungen der Kragen: »Wozu soll das gut sein? Sie stirbt ja doch. Bei einer Ausbildung hat man wenigstens was von seinem Geld.«
    Ihr sechzehnjähriger Sohn hatte nicht herzlos sein wollen. Er war seines Vaters Sohn. Sein Argument war absolut vernünftig.
    »Übrigens«, sagte Zach und nickte in Richtung der Hähnchenkeulen mit Rosmarin, die Shep gerade aus dem Tischbackofen gezogen hatte, »Mama hat gesagt, kein Hähnchen mehr. Sie kann’s nicht mehr sehen.«
    Shep holte tief Luft. Er hatte nicht genug geschlafen, nachdem er gestern Morgen nach seiner fünfzehnstündigen Autofahrt nur etwas gedöst hatte. Er war müde. Doch unter den vielen Dingen, die er seit Januar aufgegeben hatte, war das Recht auf Müdigkeit.
    Er stellte das Hähnchen zum Abkühlen zur Seite. Was Glynis noch sehen und nicht mehr sehen konnte, änderte sich von einer Minute zur anderen, und morgen hätte sie vielleicht schon wieder Appetit auf Hähnchen. In der Tiefkühltruhe fand er ein paar Rinderrücken-Burger und taute sie vorsichtig in der Mikrowelle auf, indem er sie alle sechzig Sekunden umdrehte. Er briet das Fleisch. Sie mochte es blutig.
    Er arrangierte alles auf Glynis’ Tablett. Um die Mahlzeit ansprechender zu machen, pflückte er ein paar Zweige Efeu von der Veranda und stellte sie in einer handbemalten Kristallvase von ihrer Bulgarienreise in etwas Wasser. Er brachte ihr das Tablett, dann holte er seinen eigenen Teller, um auf dem Stuhl neben ihr zu essen. Er sinnierte darüber, ob Petra nicht recht hatte und er sich mehr Gedanken machen müsste, dass seine Frau nie nach seinen Plänen für danach fragte – und dann hielt er inne. Wo nach? Wie hätten sie über das »Danach« sprechen können, ohne jemals zum eigentlichen »Was« gekommen zu sein?
    Wie immer starrte Glynis wie gebannt auf den Bildschirm, wo eine Kochsendung lief. Sie sah sich kaum noch etwas anderes an. Ihre

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