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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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sollte. Ihre Stimmungsschwankungen waren zur Zeit extrem. Er wollte nicht alles noch schlimmer machen. Aber wenn er sich zu viel Mühe gab, um nicht alles noch schlimmer zu machen, würde er mit seiner ganzen Vorsicht ins Fettnäpfchen treten und alles nur noch schlimmer machen. »Ich soll mich also schlecht fühlen, weil ich zu gut zu dir bin, ja?«
    Obwohl der zaghafte Ton sie noch wütender hätte machen können, schüttelte sie nur mitleidig den Kopf samt Turban. »Hör zu, du bist unglaublich. Diese Unermüdlichkeit. Diese Geduld. Diese unaufhörliche Hingabe. Nie ein böses Wort. Nie eine Klage. Ich seh’s schon, in den nächsten Tagen ist dein Foto auf der Titelseite der Time . Aber ich will kein mustergültiges Vorbild, ich will einen Ehemann. Du fehlst mir. Ich weiß nicht, wo du hin bist. Ich glaube, du bist derselbe Mann, der vor knapp einem Jahr verkündet hat, dass er entweder mit mir oder ohne mich nach Ostafrika gehen will. Wo ist dieser Mann hin, Shepherd? Ich will einen Mann, der Grenzen hat! Jemand, der schlecht gelaunt ist, jemand, der mir auch mal was übelnimmt, der mir den Hals umdrehen könnte. Einen richtigen Mann, der zumindest auch mal sauer wird!«
    Er dachte genau nach. »Ich war von Beryl ziemlich genervt.«
    »Ja, zwanzig Jahre zu spät. Ich meine mich. Ich will, dass du von mir genervt bist! Ich nehm’s dir nicht ab, dass dich dieses ganze Schleppen und Holen und Bepuscheln nicht in den Wahnsinn treibt!«
    »Also gut.« Noch immer stand er da, das Tablett in der Hand – dummerweise eine Geste der Dienstbarkeit. »Es gefiel mir nicht besonders gut …« Er würde noch mal von vorn anfangen müssen. Glynis hatte recht. Allein das Vokabular für ein solches Gespräch war ihm fast schon entglitten. »Ich war genervt, dass du anderen Reis haben wolltest.«
    »Bravo«, sagte Glynis spöttisch.
    Er konnte sich kaum noch erinnern, wie Leute Gespräche führten, gesunde Leute, Eheleute. Wie er früher mit Glynis geredet hatte. »Ich war genervt, weil ich wusste, wenn ich mir die Mühe mache, noch einen Topf Reis zu kochen, würdest du auch dann nicht mehr als einen Bissen davon essen.«
    »Richtig.« Sie wirkte auf seltsame Weise befriedigt, und er hatte einfach nur sagen müssen, dass er sich geärgert hatte.
    »Und der Reis, der in Brühe gekocht war – die Zubereitung hatte ich aus dem Fernsehen. Ich hatte extra daran gedacht, im Supermarkt die Brühe zu kaufen. Ich wollte den Reis doch nur ein bisschen interessanter machen und besser für dich. Statt mir zu danken, hast du mich bestraft. Du hast gesagt, der Reis in der Hühnerbrühe schmeckt dir nicht. Auch das hat mich genervt. Weil es in Wahrheit nur darum geht, dass dir gar nichts mehr schmeckt. Statt Reis hätte ich dir auch eine frische Portion Zement zusammenrühren können. Für dich schmeckt alles nach Zement, und dafür kann ich nichts. Es würde sehr viel helfen, wenn ich etwas mehr Anerkennung bekäme für meine Mühe, dass ich dafür sorge, dass du es gut hast und dass du … weiter am Leben bleibst.«
    »Na also«, sagte Glynis. »War doch gar nicht so schwer, oder?«
    Shep war über sich selbst überrascht. Er begann zu weinen. Seit dem Abend, an dem er im Internet die Prognose seiner Frau gelesen hatte, hatte er nicht mehr geweint.
    Wahrscheinlich hatte er sich ohnehin nicht mit CDiff angesteckt, und manchmal wurde auch das Risiko, etwas zu tun, durch das Risiko, etwas nicht zu tun, übertroffen. Und so stellte er das Tablett auf dem Fußboden ab. Er kroch unter die Bettdecke und legte sich auf den nassen Fleck. Er bettete seinen Kopf auf die eingefallene Brust seiner Frau. Sie strich ihm über die Haare. Wahrscheinlich fühlte sie sich nicht gut – und das wäre wie immer noch stark untertrieben gewesen. Aber zum ersten Mal seit ihrem illusionären Essen bei City Crab hatte er den Eindruck, dass sie glücklich war. Erst jetzt ging ihm auf, dass eine Frau, für deren »Wohlergehen« den lieben langen Tag gesorgt wurde, vielleicht mit am meisten vermissen könnte, anderen Trost zu spenden.

Kapitel 15
    Wieder mal lag die New York Times frisch und ungelesen auf dem Küchentisch. Sie hatten sich das Abonnement ausgestellt – sich das Abonnement bestellt, korrigierte sich Glynis selbst, als spielte es irgendeine Rolle. Aber niemand las hier noch Zeitung und Glynis schon gar nicht. Jeden Morgen lag sie auf demselben Platz, Shep legte sie jeden Morgen auf den Tisch, nachdem er sie von der vorderen Veranda hereingeholt hatte.

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