Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
aus der Blutbahn gespült habe, ähnlich wie Shep jedes Jahr mit dem Gartenschlauch Ablagerungen und Schlamm aus seinen bescheuerten Gartenspringbrunnen spülte. Ihr Urin würde jeden Tag weniger den toten grauen Geruch von nassem Zement haben, er würde nicht mehr die beängstigend falschen Farben der jeweiligen Chemikalie haben, von der sie gerade kaputtgemacht wurde, kirschrot oder lavendelblau. Nein, endlich würde ihr Urin wieder ein sonniges Gelb annehmen und diesen lehmigen, stechenden Geruch abgeben, der von anderen törichterweise als anstößig empfunden wurde und von dem ihr nie klar gewesen war, dass er köstlich und herrlich war. Sie würde nachts durchschlafen, schön träumen und früh aufstehen, früher noch als Shepherd, und sofort unters Dach in ihr Atelier tapsen. Wo sie den ganzen Tag bleiben würde. Das Silber wäre fügsam. Ihr Output wäre atemberaubend. Shepherd würde sich Sorgen machen, dass sie zu viel arbeitete. Shepherd würde seine »Recherchereisen« machen wollen, aber sie würde sagen, nein, ich muss arbeiten; du musst allein fahren …
Er hatte geplant, allein zu fahren! Dieser Verräter, nach Pemba, einer Stecknadel auf der Landkarte, auf irgendeine schäbige Flipflopinsel, die ihm mehr wert war als sechsundzwanzig Ehejahre …
Halt. Er zahlt. Er zahlt den Preis für seinen Wahnsinn. Er wird zahlen, und er soll zahlen. Und man wird sicher sein können, dass er niemals aufhören wird zu zahlen, genau wie diese Kreditnehmer, die so viel Kapital schuldig sind, dass sie nicht mehr tun können, als ihre Zinsen abzudrücken, und dennoch bleiben die Schulden, unnachgiebig, unreduzierbar … Wegen eines dämlichen Sandkastens, das muss man sich mal vorstellen. Niemand außer Glynis konnte begreifen, dass ihr Mann verrückt war, und woher kam überhaupt seine ganze Unzufriedenheit? Was war denn so verkehrt an seinem Leben, dass er unbedingt davor fliehen musste, dass er vor Glynis fliehen, sie betrügen musste? Also wirklich, in letzter Zeit schlurfte er hier dermaßen deprimiert durchs Haus, wo er doch hätte rausgehen können, oder etwa nicht, einfach wegfahren, ins Kino gehen, wenn er Lust hatte, oder in den Supermarkt, was doch ein Privileg war, auch wenn ihm das nicht klar war – doch, ausgerechnet der Supermarkt war ein Privileg! Sie hatte ihn dabei erwischt, wie er Liegestütze machte … Liegestütze! Er konnte immer noch Liegestütze! Und da beklagte er sich? Er beklagte sich implizit, indem er tat, als würde er sich überhaupt nie beklagen, aber sie konnte es hören, dieses untergründige Gemurmel des Selbstmitleids, der edelmütigen Aufopferung, der Unterwerfung und des heimlichen Eigenlobs. Und des Pläneschmiedens. Pläneschmieden! Er schmiedete Pläne! Er hatte ein ganz und gar anderes Bild des Nach-Nachher, als wüsste sie nichts davon. Wenn alles »vorbei« war. Dabei wusste sie, was er mit »vorbei« meinte, oder besser, mit wem es dann seiner Ansicht nach vorbei wäre. In seine Pläneschmiederei war sie nicht einbezogen, sie kehrte nicht in ihr Dachatelier zurück, zurück zu den Brennern und der Politur, zurück zu ihren Kräften …
Halt. Man musste an das Nach-Nachher denken. Sie hatte noch sechs Chemotherapien vor sich. Das war natürlich nicht fair. Neun Monate Chemo, hatte es geheißen. Die neun Monate waren vergangen. Sie hätte inzwischen fertig sein, sie hätte es überstanden haben müssen. Doch all die Bluttransfusionen, das schlechte Blutbild, die Wochen, in denen es geheißen hatte, ihre Kraft würde noch nicht ausreichen, hatten diese fürchterliche Krankheitsphase in die Länge gezogen. Es war Februar, sie hätte es überstanden haben müssen! Beruhige dich. Ich hätte es überstanden haben müssen! Nein. Ruhig. Ruhig jetzt. Bleib dran. Bring die nächsten Runden hinter dich. Sechs Runden. Nur noch sechs Runden … Konzentrier dich auf die andere Seite. Konzentrier dich. Auf die andere Seite …
Denn die Nach-Nachher-Glynis wäre die »neue, verbesserte Version!«, wie ein Reinigungsmittel in neuer Verpackung. Weil sie jetzt das Leben verstanden hatte. Dieses Verständnis würde sie mitnehmen. Alle hatten nach Aufklärung geschrien, und sie hatte abgestritten, irgendeine Aufklärung erfahren zu haben, dabei war da eine gewisse Form von Erleuchtung gewesen, von der sie aber nichts abgeben wollte, weil es privat war. Weil sie so teuer dafür bezahlt hatte und die Erleuchtung ihr gehörte.
Es war nämlich so: Im Grunde hatte es nie etwas zu
Weitere Kostenlose Bücher