Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
fürchten gegeben. Dinge zu erschaffen, jenen ersten Schnitt zu machen, mit einer dreieckigen Nadelfeile in den Rand eines frischen Stücks Silber zu schneiden, war für sie immer ein Horror gewesen. Sie hatte immer Angst, sich selbst zu enttäuschen, lediglich der eigenen Unzulänglichkeit ein Denkmal zu setzen, ebenso wie sie ihre fertigen Stücke nie als ausgereift ansah, nur als einigermaßen gut. Nun ja. Natürlich. Jetzt aber ging ihr auf, dass die Unzulänglichkeit einen Teil der Schönheit ausmachte. Das heißt, ihre Neigung, Besteck zu entwerfen, das auf subtile Weise immer wieder das gleiche war, die kleinen Wiederholungen, gegen die sie sich gewehrt hatte, die Verzweiflung, wenn sie am Ende erkannt hatte, dass das Salatbesteck trotz der innovativen Flammenglasarbeit der Einwürfelzange immer noch im Wesentlichen ähnlich sah, und selbst ihre Neigung, immer wieder dieselben Fehler zu machen – das alles gehörte dazu und machte die Arbeit typisch für Glynis Pike Knacker. Der perfekte Kunsthandwerker hatte keine Identität. Er konnte alles und daher nichts. Man musste seine Unzulänglichkeiten gleichzeitig als Stärke sehen. Wenn sie etwas schuf und es nicht gelungen war, konnte sie den Fehler später berichtigen – auch das war ihr inzwischen aufgegangen. Es bestand keine Gefahr, es hatte nie eine Gefahr bestanden. Stattdessen bestand nur die eine Gefahr: nichts zu schaffen. Den Verlockungen des Ungeformten nachzugeben, dem luftigen geistigen Konstrukt, das somit unendlich perfektionierbar und, theoretisch zumindest, unendlich edel war. Endlich fiel der Groschen: Konzeption ist Nebensache, Ausführung ist alles. Und sie hatte das Auge; sie hatte das Metall gemeistert. Die Materialien, über die andere verfügten – schmuddeliger formbarer Ton, der eigentlich nichts als feuchte Erde war; oder Holz, die Leichenteile geschlachteter Pflanzen – alles das war gering, schäbig, ängstlich, einfach und klein. Für Glas hatte sie noch Respekt. Wer jedoch das Metall beherrschte, beherrschte die Welt.
Lange hatte sie über einen Messergriff nachgedacht, der sich an eine gute Sabatier-Klinge nieten ließe, die man zuvor von ihrem traurigen schwarzen Griff würde trennen müssen – vielleicht konnte sie aber auch eine schmale Klinge von hochwertigem Stahl in Auftrag geben, gefährlich und verboten scharf. Für den Griff etwas Köstliches, Üppiges, eine sinnliche Fabrikation aus schwerem Sterlingsilber mit Wucht und Ondulation, perfekt austariert und auf subtile Weise schief … Eine Linie zog sich durch ihren Kopf, verwob sich wie ein Heftfaden.
Schließlich hatten alle Werkzeuge der Gewalt ihren Reiz. Sie sah die Nach-Nachher-Glynis schon vor sich, wie sie nur noch Dolche, Fleischermesser, Keulen und Schlagringe mit zart glitzernden Einlegearbeiten aus Diamanten anfertigte, um damit noch mehr Schaden anzurichten, ja sogar Folterinstrumente – nicht nur bis ins feinste Detail konstruierte filigrane Schälmesser, sondern die Instrumente ihrer eigenen Folter. Ein leuchtend silberner Nachbau der Gifttüten, die monatelang am Tropf über ihrem Kopf gebaumelt hatten; seine spiegelglatten Sterlingfalten würden das Licht zurückwerfen. Vielleicht könnte sie so ihre allerschlimmsten Ängste konfrontieren, denn für Glynis bestand der Weg zur Kontrolle und Inbesitznahme darin, den Weg des Midas zu gehen und alles, was sie berührte, in Metall zu verwandeln, alles, woraus sie gemacht war, was sie geliebt hatte und was sie kannte. Also könnte sie eine vollkommene, glänzende Replik einer Spritze mitsamt funktionstüchtigem Kolben schaffen, deren glatte, herrliche Mechanik die Galerien in Ehrfurcht versetzen würde, die fürchterlich spitze Nadel für den Luxusmarkt aus Weißgold. Denn es gab dafür einen Markt. Sie hatte den Markt kennengelernt, in der Columbia-Presbyterian-Klinik, all diese Mitleidenden, die in heimtückisch bequemen Lehnstühlen geradewegs auf den Tod zusteuerten. Die nie die Klappe halten konnten, die stundenlang am Telefon hingen und Glück hatten, dass Glynis keine Waffe besaß. Sie alle brannten auf Mitbringsel, Ablenkung und die Illusion von Bedeutung. Sie könnte eine ganze Bestecklinie für Krebspatienten schaffen.
Wie Shepherd hatte auch sie Pläne, aber es waren respektable Pläne. Nicht die Pläne eines Feiglings, der müde war oder müde zu sein glaubte, aber dabei keinen Begriff hatte von Müdigkeit. Nicht die Pläne eines Schwächlings, der einfach nur aus allem rauswollte, der nur
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