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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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Jacksons Misere gewesen, hatte er aus Traurigkeit oder bösem Willen gehandelt? Shep war eifersüchtig. Jackson war sein bester Freund gewesen. Wenn es Antworten auf diese Fragen gab, wollte er sie hören. Verstärkt wurde seine Eifersucht, als die beiden Frauen mitten im Gespräch verstummten, als er den Raum betrat.
    NACHDEM ER DAS Telefonat mit Rick Mystic am letzten Donnerstag beendet hatte, war ihm noch eine Stunde geblieben, um Vorbereitungen zu treffen für die Ankunft von Carol und den Mädchen, wobei es ihm dabei nicht um das Beziehen von Gästebetten gegangen war. Er konnte Carol nicht einladen und dann von ihr erwarten, dass sie Glynis verschwieg, was sie aus ihrem eigenen Haus getrieben hatte und warum ihr Mann offenkundig verschollen war. Echte Gastfreundschaft hieße, Glynis rechtzeitig aufzuklären. Er betrachtete sich gern als mutig. Aber ohne die Galgenfrist hätte er die Sache wahrscheinlich noch länger vor sich hergeschoben.
    Shep hatte mit sich gehadert. An einem Tag hatte er zwei völlig widersprüchliche Ratschläge bekommen. Du musst es ihr sagen, hatte Carol ihn beschworen. Nur weil sie krank ist, heißt das nicht, dass sie blöd oder ein kleines Kind ist. Keine zwei Stunden später hatte Goldman gekontert: Ich würde Ihnen eher dazu raten, meine Prognose für sich zu behalten  … um die Qualität ihrer restlichen Lebenszeit zu erhalten. Dafür zu sorgen, dass sie optimistisch bleibt.
    Es war eine abgedroschene Formulierung, aber es ging wohl nicht um Originalität: »Ich habe eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht«, hatte er sachlich verkündet, nachdem er ihr das Abendessen ins Schlafzimmer gebracht hatte, Erbsensuppe aus der Dose – zu mehr hatte es in fünf Minuten nicht gereicht. »Welche willst du zuerst hören?«
    Glynis pustete auf ihre Suppe und blickte ihn skeptisch wie ein Gladiator über ihren Löffel hinweg an. »Da wir in diesem Haus so wenig gute Nachrichten zu hören bekommen, solltest du vielleicht besser damit anfangen.«
    »Forge Craft will zahlen. Sie bieten uns 1,2 Millionen.«
    Wenn man bedenkt, dass das Angebot eine Würdigung ihrer herausragenden Darbietung an jenem Vormittag war, hätte er von ihr zumindest einen müden High-Five erwartet. Doch ihre Reaktion war verblüffend unaufgeregt. »Das ist ja schön«, sagte sie und aß noch einen Löffel Suppe.
    »Willst du’s annehmem?«
    »Wenn ich mich recht entsinne, gab es da ein kleines Problem mit der Miete«, sagte sie und tupfte ihre Mundwinkel mit der Serviette sauber. »Also würde ich sagen: Ja.«
    Nach ihrer Reaktion, die er unter »einigermaßen zufrieden« verbucht hätte, graute es ihm davor, zum zweiten Teil der Nachricht überzugehen. Trotz der scheinbaren Ausgewogenheit des Klischees von der guten und der schlechten Nachricht überwog die schlechte bei Weitem. In Wirklichkeit hatte es eigentlich nur eine gute Nachricht gegeben, die nun vertan und nicht besonders gut angekommen war. Hin- und hergerissen zwischen Carols Aufrichtigkeit und dem Rat des Arztes, schlafende Krebspatienten nicht zu wecken, würde er als beste Strategie zunächst den goldenen Mittelweg nehmen.
    »Die schlechte Nachricht«, sagte er zögerlich, »ist sehr schlecht.«
    Sie ging mit den Augen auf ihn los. »Bist du sicher, dass du’s mir sagen willst?«
    »Natürlich würde ich’s dir lieber nicht sagen. Aber ich muss.«
    »Du musst .«
    »Wenn ich’s dir nicht sagen würde, würde sich überhaupt nichts ändern, es würde die Sache – nicht ungeschehen machen.«
    Langsam legte sie den Löffel hin. Sie strich über den Rand des Tabletts, begradigte es wie ein Lastwagenfahrer sein Lenkrad, während er weiter aufs Gaspedal tritt. Wäre das Bett ein Sattelschlepper gewesen, hätte sie ihren Mann überfahren.
    »Jackson hat sich erschossen.«
    Offenbar war das so weit entfernt von allem, was sie erwartet hatte, das sie ihn fast nicht gehört hätte. Ihre Frage machte wenig Sinn.
    »Und geht’s ihm – wieder gut?«
    Shep ließ ihr einen Moment Zeit. »Nein.«
    »Ach so.« Sie ließ die Hände fallen. Komplexe Gedanken standen ihr ins Gesicht geschrieben, und es dauerte einen Augenblick, bis ihre tief empfundene und echte Trauer – »Arme Carol!« – über ihre schuldbewusste Erleichterung die Oberhand gewann.
    JETZT, SECHS ABENDE später, würde er nicht so weit gehen und die groteske Behauptung aufstellen, dass der Selbstmord eines ihrer ältesten und engsten Freunde seine Frau aufgeheitert hätte. Nichtsdestotrotz

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