Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
hatte, schraubte er das Oral-B-Aufladegerät von der Badezimmerwand. Nur weil man in der Dritten Welt war, hieß das noch lange nicht, dass man seine Zahnhygiene vernachlässigen durfte; die elektrische Zahnbürste käme also mit.
Er war froh, diesmal nicht umherschleichen zu müssen und stattdessen laut über die knarzenden Dielen unter dem Teppich im Flur stampfen zu können, auf dem noch immer die Flecken von Glynis’ Nasenbluten im letzten Frühjahr zu sehen waren. Davon abgesehen war die Übung eine getreue Wiederholung, als würde er gewissenhaft eine Feuerübung veranstalten, während das Haus in Flammen stand: Klebeband; Schrauben, Muttern und Unterlegscheiben; Silikonspray; Dichtungsmittel; Gummibänder; eine kleine Rolle Draht. Eine Taschenlampe für Stromausfälle und ein Päckchen Batterien. Einen Vorrat Malarone-Tabletten und eine frische Tube Cortison für den Ausschlag an seinem Fußgelenk, der unter dem Stress des letzten Hiobsjahres schlimmer geworden war. Diesmal ein Päckchen Einläufe, Antibiotika bis zum Umfallen und, ehrerbietig zwischen eingerollten Socken verstaut, das flüssige Morphium.
Um seine Trockenübung vom letzten Jahr zu optimieren, hatte er anstelle der Redewendungen ein dickeres, seriöseres Suaheli – Englisch/Englisch – Suaheli-Wörterbuch gekauft. Er hatte aus allen Zeitungen des letzten Monats den Kunstteil herausgezogen und die Kreuzworträtsel ausgeschnitten; schon seit Jahren hatte er keine Muße mehr gehabt, diesem Laster zu frönen. Im Rätsellösen war Shep immer miserabel gewesen, und ohne Übung wäre er noch miserabler; bestens, denn so hatte er noch mehr davon.
Über die Lektüre hatte er sich diesmal sehr viel mehr Gedanken gemacht. Seine Erfahrung mit dem, was echte Waffen mit echten Menschen machen konnten, hatte ihn geheilt von jedwedem Wunsch nach leichtfertigen Pseudogewaltdarstellungen aus der Feder von Leuten, die keine Ahnung hatten, wovon sie sprachen – Thriller kamen also nicht infrage. Ebensowenig reizte ihn Panikmache zum Thema Klimawandel oder zur Zunahme des islamistischen Terrors; wenn die Prognosen stimmen, würde sich die Katastrophe von selbst einstellen, ohne dass er eigens darüber etwas lesen musste. Seriöse Romane waren nie seine Sache gewesen; dazu hatte ihm immer die Zeit gefehlt. Aber jetzt würde er ja Zeit gewinnen. Deswegen hatte er gestern auf einer Einkaufsfahrt nach Manhattan einen bebrillten Verkäufer bei Barnes and Noble angesprochen, der im Gegensatz zu den meisten Angestellten dort tatsächlich lesen gelernt hatte. Und so hatte er in einer Ecke seines Hartschalen-Samsonite vor ihm auf dem Bett vier dicke neue Taschenbücher verstaut: Wem die Stunde schlägt von Ernest Hemingway, dessen laut Klappentext tapferer, selbstloser Protagonist ihm beruhigend bekannt vorkam. Absalom, Absalom! von William Faulker, weil die große, anschwellende Traurigkeit der ersten Seiten, in die er vor dem Regal hineingelesen hatte, zu seiner momentanen Stimmung passte. Der Idiot von Fjodor Dostojewski, ein Titel, der Jackson Burdinas sämtliche verschachtelten Untertitel in nur zwei Wörtern zusammenzufassen schien. Außerdem hatte der junge Mann bei B&N erklärt, in dem Roman gehe es um Güte und wie man durch Güte den Hass anderer Menschen auf sich ziehen könne; auch das passte zu seiner Stimmung. Als Shep Afrika erwähnte, lenkte der Verkäufer sein Augenmerk auf Moskito-Küste von Paul Theroux. Ging man nach der Zusammenfassung, war der Roman ein guter Witz auf Sheps eigene Kosten. Diese Romane würden nicht ewig vorhalten, aber zum Glück war er ein langsamer Leser. Bestimmt würden die Touristen auf Pemba ihre ausgelesenen Taschenbücher dalassen, und wer weiß, vielleicht würde Amazon ja gegen Aufpreis auch nach Afrika liefern.
Natürlich war sein letzter Fluchtversuch still, heimlich und höchst konzentriert vor sich gegangen. Dadurch, dass das Haus inzwischen eine Mischung aus Hospiz und Flüchtlingslager darstellte, wurde die Wiederholung ständig von Heather unterbrochen, die lautstark nach einem zweiten Stück Streuselkuchen verlangte, oder von Zach, der sich beschwerte, dass man ihm ruhig früher hätte Bescheid sagen können, dann hätte er sich vor Donnerstag noch das neueste Mighty-Mordlock -Computerspiel von UPS liefern lassen können. Shep lauschte unwillkürlich nach Gesprächsfetzen, während er durchs Schlafzimmer lief, wo Glynis und Carol auf den Kissen hockten und sich leise unterhielten: Was war der wahre Grund für
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