Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
davon, vielleicht winkte er noch mal, und man stand da mit dem Schmutzwasser in seiner Badewanne. Warum sollte man so einen Job machen wollen?
»Und ich habe gute Nachrichten«, fuhr Knox fort. »Erstens, wie ich Ihnen letzte Woche schon versichert habe, Mrs Knacker, waren auf der MRT keine Anomalien im Pleura – in den Lungen – zu erkennen. Wichtiger noch, ich habe jetzt das Ergebnis der Laboruntersuchung vorliegen. Das Mesotheliom kommt, wenn Sie so wollen, in zwei Geschmacksrichtungen vor – in zwei Arten von malignen Zellen. Die epitheloiden Zellen sind weniger aggressiv, die sarkomatoiden Zellen sind sehr viel aggressiver. In den entnommenen Proben wurden ausschließlich epitheloide Zellen entdeckt. Dadurch fällt die Prognose um Einiges optimistischer aus.«
Glynis nickte schulmädchenhaft, als hätte sie etwas richtig gemacht. Shep wollte schon fragen: Und welche Prognose wäre das? Er öffnete den Mund, und er war trocken. Er schloss ihn wieder und schluckte. Da er dankbar sein, seine Rolle spielen, mitmachen und zupacken wollte, wie es hier offenbar erwartet wurde, sagte er stattdessen: »Ja. Das klingt nach einer sehr guten Nachricht.«
Mit einem Mal musste er unwillkürlich darüber nachdenken, dass gerade mal vor einer Woche eine »gute Nachricht« sein Merrill-Lynch-Portfolio gewesen war, das sich um 23 400 Dollar gefüllt hatte, ohne dass er einen Finger gerührt hatte. Dass ihr Sohn im zweiten Highschool-Jahr endlich eine anständige Note in Algebra nach Hause gebracht hatte. Dass Randy Pogatchnik geschwänzt hatte und irgendwo Golf spielte, sodass die Arbeit bei Allrounder drei Tage lang zwar nicht wie in alten Zeiten Spaß machte, aber doch immerhin kollegial war. Dass Glynis ausnahmsweise in einer verspielten und trägen Laune war – an die er sich jetzt kaum noch erinnern konnte – und Lust hatte, eine alte Folge Sopranos mit ihm zu gucken. Jetzt sollte er innerhalb von Sekunden in eine Welt eintauchen, wo eine »gute Nachricht« so aussah, dass sich im Bauchraum seiner Frau lauter bösartige »epitheloide« Zellen tummelten anstatt der noch bösartigeren »sarkomatoiden«, und diese Information sollte ihn auch noch aufheitern.
»Zur Frage, wie es jetzt weitergeht«, sagte der Doktor. »Vielleicht wollen Sie noch eine Zweitmeinung hinzuziehen. Es ist immer denkbar, dass andere Spezialisten einen alternativen Weg vorschlagen, aber ich dachte, ich würde Sie schon mal mit dem Standardverlauf zur Behandlung des epitheloiden Mesothelioms vertraut machen. Sofern die Diagnose bestätigt wird, Mrs Knacker, werden wir Sie so bald wie möglich einem Debulking-Eingriff unterziehen. Dabei soll so viel wie möglich von dem erreichbaren Krebs entfernt werden. Wir haben im Peritoneum drei Stellen mit befallenem Gewebe lokalisiert. Leider sind die Chirurgen, die ich konsultiert habe, übereingekommen, dass eine dieser Stellen unzugänglich ist. Sowohl um dieses unerreichbare kleine Stück zu schrumpfen als auch um bösartiges Zellwachstum weiter zu verhindern, wird sich höchstwahrscheinlich eine Chemotherapie anschließen, sobald Sie sich von dem Eingriff erholt haben. Zu diesem Zweck wird Ihnen ein Thoraxchirurg im Bauchraum zwei künstliche Ausgänge legen. Auf diese Weise können wir intraperitoneale Infusionen vornehmen und erhitztes Cisplatin einführen, das Ihre inneren Organe überspülen wird, anstatt die Chemotherapie durch die Blutbahn zu verabreichen. Bei dieser direkten Anwendung sollten unangenehme Nebenwirkungen deutlich geringer sein.«
»Heißt das, mir werden die Haare nicht ausfallen?«, fragte Glynis und berührte reflexhaft ihren Scheitel.
Dem Onkologen huschte ein Schatten übers Gesicht, eine Traurigkeit, ein Bedauern, dem Shep entnahm, dass eine so kleine Verletzung der Eitelkeit seiner Patientin das geringste Problem darstellen würde. »Jeder Patient reagiert auf die Behandlungen anders«, sagte er behutsam. »Man kann es nie wissen.«
»Außerdem wachsen sie ja wieder nach, oder?«, sagte Shep. Das war sein Part. Er sollte Optimismus verbreiten.
Ein zweiter Schatten zog über das Gesicht des Arztes, und zwar diesmal einer, den Shep nicht zu deuten wusste. »Ja, wenn die Behandlungen abgeschlossen sind, mit Sicherheit«, sagte Dr. Knox, der sich einen Ruck zu geben schien. »Manche Patienten stellen sogar fest, dass das Haar dicker nachwächst.«
Shep hatte plötzlich den Eindruck, dass dieser Besuch, ja das gesamte Programm von Röntgen über Kernspin bis hin zu all den
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