Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
lassen.« Er würde aufpassen müssen, um im Gespräch über die medizinischen Albträume nicht noch ständig einen draufzusetzen.
»Eigentlich wollte ich mich bei dir entschuldigen«, sagte Shep.
»Wozu das denn?«
»Was du alles schon durchgemacht hast mit Flicka. Ich glaube, ich hab nie genug Mitgefühl gehabt. Ich hatte keine Ahnung, wie es euch gehen muss, bis ich bis zum Hals in der gleichen Scheiße saß. Ich hätte viel mehr Verständnis haben müssen.«
»Schwachsinn, Junge. Du warst mitfühlend genug. Und wie soll man für irgendwas ›Verständnis‹ haben, bevor man’s versteht?« Dennoch, das Gespräch tat gut. Shep hatte wirklich keine Ahnung gehabt, und in Wahrheit hatte er noch immer keine Ahnung.
»Dass Leute operiert werden müssen, weiß ich doch auch. Ich hab nur nie darüber nachgedacht. Jetzt hört es sich an wie irgendwas aus dem Mittelalter. Als würde man seine Frau ins Schlachthaus bringen.«
»Es macht einen fix und fertig. Man denkt immer, das Schlimme daran sei, dass man sich überhaupt unters Messer legen muss, aber richtig schlimm wird’s eigentlich erst danach. Es dauert einfach ewig. Flicka sagt, sie hätte dagelegen und ungefähr eine Stunde hin und her überlegt, ob es sich lohnt, ihre Mutter zu bitten, dass sie ihr eine Zeitschrift von der Kommode rüberreicht. Nicht aufzustehen und sie sich selbst zu holen; einfach nur darum zu bitten . Es ist, als wäre man draußen vor einer Kneipe halb zu Tode geprügelt worden.«
»Danke«, sagte Shep säuerlich. »Das baut mich auf.«
»Was denn, soll ich dir irgendwelche Märchengeschichten auftischen? Dass Glynis ein ›Stehaufmännchen‹ ist, die ›im Nu wieder auf den Beinen‹ und dann wieder ›putzmunter‹ sein wird?«
»Entschuldige. Nein, die Wahrheit ist mir lieber. Damit wir auf alles vorbereitet sind.«
»Spart euch die Mühe. Seid ihr nämlich sowieso nicht.«
Jackson warf dem selbstgefälligen Jogger mit seiner Evianflasche (den sie gehend überholten) einen verächtlichen Blick zu.
»Ich wollte dich fragen, ob du und Carol nicht vielleicht zum Essen kommen wollt«, sagte Shep. »Nächsten Samstag, wenn ihr einen Babysitter findet. Nur wir vier. Noch ein letztes Mal, bevor … Es wird unser Vorher-Foto. Ich weiß, es klingt unbegreiflich, aber ich fänd’s gut, wenn wir uns vielleicht ein bisschen amüsieren könnten.«
»Ist ja wohl das Mindeste. Das lass ich mir auf keinen Fall entgehen«, sagte Jackson und rechnete sich aus, dass das Timing nicht gerade ideal war. »Aber das Thema Asbest sollten wir vielleicht aus dem Spiel lassen, oder? Ich hab das Gefühl, das ist ein wunder Punkt.«
»Wenn wir alle wunden Punkte aus dem Spiel lassen, haben wir bald gar kein Gesprächsthema mehr.«
»Gibt sie dir immer noch die Schuld?«
Shep schnaubte. »Was glaubst du denn?«
»Dass sie sich schön in ihrem Vorwurf eingerichtet hat.«
»Wunderbar kuschlig. Soweit ich weiß, verändert Krebs nicht den Charakter.«
»Das würdest du doch gar nicht wollen.«
»Ich fühl mich die ganze Zeit schrecklich. Ich würde mich sowieso schrecklich fühlen, also schwer zu sagen, wie viel von der Schrecklichkeit damit zusammenhängt, dass ich an der ganzen Misere auch noch schuld bin. Ich war schlampig. Ich war unüberlegt. Allmählich kann ich nachvollziehen, wie sich Schwule fühlen müssen, wenn sie ihren Partner mit AIDS angesteckt haben.«
»Viele dieser Schwuchteln wissen ganz genau, dass sie HIV-positiv sind, und vögeln trotzdem munter ohne Gummi weiter. Aber du hast doch nichts davon gewusst. Es ist nicht mal klar, ob die Fasern von dir stammen, hat dieser Arzt doch selber gesagt. Reine Selbstkastra …«, sagte Jackson unsicher. »Ich meine, Selbstkasteiung. Weil du ein schlechtes Gewissen hast wegen Pemba.«
»Glynis will unbedingt klagen. ›Die‹ sollen zahlen, sagt sie. Aber wir können uns schlecht eine bestimmte Firma vorknöpfen, wenn ich mich nicht mal erinnern kann, mit welchem Zeug ich gearbeitet habe. Wie soll ich mich an die Zementmarke erinnern, mit der ich 1982 Zement gegossen habe?«
»Stimmt, ich hab auch noch mal überlegt, aber ich kann mich nicht erinnern. Diese ganze Liste von Produkten, die du mir gegeben hast – eine Dachziegelmarke ist nicht unbedingt das, was man fünfundzwanzig Jahre später noch im Kopf hat.«
»Aber wenn sie kein Unternehmen zwischen die Finger bekommt, geht sie mir weiter an die Kehle. Ich würde ja einiges aushalten, wenn ein Sündenbock wirklich was bringen
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