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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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rauszutragen. Sie hatten vielleicht gelernt, im Beisein ihrer Väter »fuck« zu sagen, aber das Wort im Zusammenhang mit dem Finanzamt auszusprechen brachten sie nicht fertig. Bei der Steuererklärung tropfte der Angstschweiß, und sie rechneten ihre abgegriffenen Belege über 349 und 267 Dollar zusammen und standen kurz vor dem Nervenzusammenbruch, wenn die Kalkulation beim zweiten Durchgang nicht auf den Cent genau stimmte – obwohl die Empfänger ihrer fleißigen Buchhalterei mal locker 349 Millionen am obersten Rechnungshof vorbeischleusten oder 267 Milliarden in einen sinnlosen Krieg in irgendeiner Sandwüste versenkten. Diese armen Schlucker, die auf Zehenspitzen durch ihr Leben gingen und vor lauter Angst alles, für das sie je gearbeitet hatten, abtraten, waren schlicht und ergreifend Vollidioten.
    Wobei das alles ja so nie gedacht gewesen war, wie Jackson beharrte. Heimlich, still und leise hatten die Absahner Schritt für Schritt ein System gekapert, das anfangs gar nicht so schlecht gewesen war. Was Thomas Jefferson und Konsorten eigentlich gewollt hatten, war ein Land, das einen in Ruhe ließ und einem die Freiheit zusicherte, zu machen, was man verdammt noch mal wollte, solange dabei niemand zu Schaden kam – kurz, ein Land »wo sich’s leben lässt«, und nicht »dieser ganze Scheiß hier«.
    Shep wollte nicht glauben, dass er vom Staat nichts zurückbekam. Straßen, wie er hervorhob. Brücken. Laternen und öffentliche Parks. Zugegeben, es war genau das, was Jackson unter dem Oberbegriff »Bürgersteige« zusammenfasste: Das Mindestmaß an Infrastruktur, das erforderlich war, um ein normales Leben zu führen, wurde größtenteils von den Gemeinden finanziert, deren Stück vom großen Kuchen so klein war, dass es auf einem Teller umfallen würde. Wenn jeder Bürger, wie Jackson immer wieder feststellte, dieselbe Summe in den Topf werfen würde, könnten sie ihre sämtlichen primitiven kommunalen Bedürfnisse mit dem »Kleingeld« decken – und genau das hatte George Washington im Sinn gehabt, statt »irgendeinem beschissenen König die Füße zu küssen«.
    Shep musste zugeben, dass die für ihn persönlich fühlbaren Gegenleistungen für seine Steuergelder erstaunlich schwer zu benennen waren. Dennoch hatte er das Gefühl, dass die sein Leben bestimmenden Instanzen sich zu einer gewissen Ordnung fügten. Selbst eine grobe, ungerechte Ordnung war unbezahlbar, im Gegensatz zum Chaos eines Rudels wilder Tiere.
    Und selbst wenn er Jacksons comicartige Kategorien akzeptierte, wäre er immer noch lieber eine arme Sau als ein Absahner. Jemand, auf den sich andere verlassen konnten, ein Mann im besten Sinne des Wortes. Auch wenn er implizit an einen Gesellschaftsvertrag glaubte – man erklärte sich bereit, für andere zu sorgen, um sich dann, wenn es so weit war, von ihnen umsorgen lassen zu können –, hielt er nicht deswegen an seinen Pflichten fest, um irgendwann etwas einfordern zu können. Wenn es nach ihm ginge, würde er bis ans Ende seiner Tage eine Quelle bleiben und kein Abfluss, und sei es, weil es ein gutes Gefühl war , zuverlässig, eigenständig und kompetent zu sein. Nur dank einer Regelung Sheps beim Verkauf von Allrounder – die schriftliche Zusicherung Randy Pogatchniks, dass Jackson als Personalmanager ein sechsstelliges Gehalt inklusive Preisgleitklausel beziehen würde –, verdiente sein Freund überhaupt genug Geld, um sich über die Steuern, die er zahlen musste, zu ärgern, und manchmal fragte sich Shep, ob er dem Mann damit einen Gefallen getan hatte. Was war es nur in Jacksons Leben, das ihm so sehr das Gefühl gab, den Kürzeren gezogen zu haben?
    WUNDERSAMERWEISE STAND BERYL schon in der Eingangshalle und spähte durchs Fenster, sodass er jetzt nicht x-mal um die 6th und 7th Avenue würde im Kreis fahren müssen, bis sie sich nach unten bequemte. Unter den genoppten Schichten eines Capes, diversen Pullovern und Tüchern und schwer behangen mit den Stein-plus-Feder-Klunkern, die Glynis nicht ausstehen konnte, warf sie sich in den Beifahrersitz. Beryls Pseudoschlabberlook stammte bestimmt nicht aus einem Secondhandladen – vermutlich zahlte sie Wucherpreise, um so zerknittert auszusehen –, und er war typisch für eine Generation, die die Sechziger um ein Haar verpasst hatte. Obwohl ihr älterer Bruder die Ära genauso wenig miterlebt hatte, hatte Shep genug von ihrem Endstück mitbekommen, um der Hippiezeit nicht nachtrauern zu müssen. Diese Typen gehörten

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