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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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würde. Aber ich hab mich bis zum Abwinken entschuldigt, und jedes Mal, wenn ich fertig war, hatte sie immer noch Krebs.«
    Sie waren eng befreundet und so weiter, aber dass Shep aus irgendeinem Grund emotional wurde, war nicht vorgesehen, also tat ihm Jackson den Gefallen und blickte einem Fahrradfahrer nach, der in verkehrter Richtung um den Park fuhr, bis sich der arme Kerl wieder im Griff hatte.
    »Blöd«, sagte Shep schließlich. »Zwischen jetzt und Samstag muss ich allen Bescheid sagen.«
    »Dass Glynis operiert wird.«
    »Dass Glynis überhaupt krank ist. Bisher weiß es noch keiner, außer dir und Carol.«
    »Glaubst du nicht, dass Glynis diese ehrenvolle Aufgabe selbst übernehmen sollte?«
    »Lass mal. Es ist besser für alle Beteiligten, wenn ich das mache. Vor allem bei ihrer Familie in Arizona. Du kennst ja Glynis. Sie würde sich wahrscheinlich zurücklehnen und sich erst mal eine halbe Stunde erzählen lassen, dass die mexikanischen Nachbarn ihren Müll nicht trennen. Nachdem ihre Mutter sich um Kopf und Kragen geredet hätte, würde Glynis sie als Rassistin beschimpfen, und dann wäre Hetty eingeschnappt und würde zurückschießen. Zack , und zugeschnappt! ›Ist das so? Ach und übrigens, ich hab Krebs!‹ Wumms, Hörer aufgelegt.«
    »Ich kann’s mir genau vorstellen!«, sagte Jackson und lachte in sich hinein. »Gott, dafür liebe ich sie.«
    »Und ich erst.«
    Kurz vor dem Büro begann Jackson Greensleeves zu pfeifen.
    »Du Arsch!«, rief Shep, aber immerhin hatte Jackson ihn zum Lachen gebracht. »Ich hatte es gerade aus dem Kopf!«

Kapitel 5
Shepherd Armstrong Knacker
Merrill Lynch Konto-Nr. 934 – 23F917
01. 01. 2005 – 31. 01. 2005
Gesamtnettowert des Portfolios: $ 697 352,41
    NACH DER ARBEIT war Shep mit Beryl verabredet; er hatte versprochen, dass er sie abholen würde. Anfang der Woche hatte sie angerufen, weil sie nach Elmsford kommen und »ein bisschen bei ihm abhängen«, mit anderen Worten: sich zum Essen einladen wollte. Einerseits war das Timing schlecht – so schlecht, wie das Timing für unabsehbare Zeit schlecht sein würde, egal für was –, und andererseits war es gut. Da Zach mal wieder im Kabelgewirr irgendeines ungelüfteten Jungenzimmers übernachten würde, konnte Shep sich mit Beryl schon mal darin üben, die Nachricht persönlich zu überbringen. Sie hatten beschlossen, morgen den Kindern Bescheid zu sagen, und er wollte sich über die Formulierung noch Gedanken machen. Er war sich immer noch unsicher, ob er ihnen von der Prognose erzählen sollte, wo er nicht mal mit Glynis darüber gesprochen hatte.
    Seine Schwester in Chelsea abzuholen bedeutete, dass er sich im Berufsverkehr von Brooklyn nach Manhatten quälen musste. Die U-Bahn zu nehmen wäre ihr nie in den Sinn gekommen. (Im umgekehrten Fall hätte Beryl natürlich niemals angeboten, ihn abzuholen. Doch er hatte sich damit abgefunden, dass er der Gebende und seine Schwester die Nehmende war, als hätten sie einfach nur verschiedene Aufgaben. Es war Jackson, der sich darüber aufgeregt hatte, dass sein Freund ständig anderen Leuten Gefallen tat, die er selbst nicht mal in Millionen Jahren verlangen würde. Wenn sich Beryl also bereit erklärte, ihren zeitintensiven Terminplan zurückzustellen, um bei ihrem langweiligen Bruder Elendstourismus zu betreiben, konnte das nur bedeuten, dass sie irgendetwas von ihm wollte. Mehr als nur ein Abendessen.
    Das Mesotheliom ließ ihn die Frustration über seine Schwester vergessen, außerdem vertrieb die Sorge um Glynis jede Form von Trauer um Pemba, die ihn andernfalls hätte befallen können. Er hatte Jackson nicht angelogen. Er dachte wirklich nicht daran. Glynis’ Krankheit bewirkte dieselbe Form von laserscharfer Fokussierung, die Zach bei seinen Computerspielen fand, und ersetzte ihm auf ideale Weise den Tunnelblick, dem er zuvor durch das Jenseits vergönnt gewesen war. Pemba ersatzlos zu streichen hätte ihn verloren, gebrochen, schwimmend und ausnahmsweise wirklich wütend zurückgelassen. Aber so, wie die Lage jetzt war, hatte er immer noch eine Hauptdirektive. Er würde alles tun, damit es Glynis gut ging und damit sie sich nicht überanstrengte. Er würde alles tun, um sie zu retten.
    Da sich Beryl angekündigt hatte, war er am Vorabend bis drei Uhr nachts aufgewesen, um eine Lasagne zuzubereiten und Salat zu putzen. Er hatte nie viel gekocht und sich auch nie besonders dafür interessiert, doch seine Interessen spielten jetzt keine Rolle mehr.

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