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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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sich durch die Oliven zu knabbern, wobei sie das eigens bereitgestellte Glasschälchen ignorierte und die Steine neben den Hochzeitsbrunnen auf den Glastisch legte. Sie wirkte nervös, was Shep im Gegenzug eine gewisse Behaglichkeit verlieh.
    »Und, Glynis«, sagte sie. »Mal wieder was geschmiedet in letzter Zeit? Ich würd’s mir total gerne anschauen.« Davon abgesehen, dass sie gerade allzu offensichtlich Small Talk betrieb, setzte Beryl darauf, dass ihre Schwägerin seit Monaten nicht in ihrem Atelier gewesen war. Glynis und Beryl konnten sich auf den Tod nicht ausstehen.
    Normalerweise hätte sich alles in Glynis gesträubt, aber heute Abend ging ein selbstzufriedenes Schnurren von ihr aus. »Seit deiner letzten Nachfrage nicht mehr«, sagte sie. »Ich war etwas abgelenkt.«
    »Der Haushalt und der ganze Scheiß?«
    »Eine Art Haushalt«, sagte Glynis. »Und Scheiß. Ganz viel Scheiß.«
    »Machst du immer noch diese Gussformen für das Schokoladengeschäft?«
    »Ehrlich gesagt bin ich gerade in Rente gegangen. Aber wenn du eigentlich nur wissen willst, ob wir immer noch eine Schachtel Ausschussware im Haus haben, ja. Etwas unförmig, aber frisch. Nimm dir von den Trüffeln so viele mit, wie du möchtest.«
    »So war das gar nicht gemeint …« War es doch. »Aber wenn du meinst … Klar. Wäre super.«
    Zur Erinnerung stellte Shep die Schachtel von »Living in Sin« neben die Tür. Glynis hatte zugeben müssen, dass ihr die lächerliche Halbtagsstelle mehr fehlte, als sie gedacht hatte. Nachdem selbst sie eingesehen hatte, dass die Qualität der Formen für Himbeersahnepralinen in Kükengestalt nicht die Geschicke der Welt lenkten, hatte ihr die Arbeit zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine angstfreie kreative Betätigung geboten. Traurig, aber hätte sie in ihrem Dachatelier auf die gleiche befreite und spielerische Art gearbeitet, hätte sie es als Kunstschmiedin wirklich zu etwas bringen können.
    Er schenkte seiner Schwester nach. Den Hauptprogrammpunkt des Abends noch unter Verschluss zu halten mochte auf grausame Weise befriedigend sein, aber wenn sie länger warten würden, wäre der Zug allmählich abgefahren.
    »Übrigens, letzte Woche hab ich mich in den Bus gesetzt und Papa besucht«, sagte Beryl, die sich selten nach New Hampshire aufmachte, es sei denn, sie wurde von ihrem Bruder im Auto mitgenommen. »Ich mach mir ein bisschen Sorgen um ihn. Ich glaub nicht, dass er noch sehr lange alleine zurechtkommt.«
    »Ging doch eigentlich ganz gut bisher. Und sein Verstand ist – ich möchte fast sagen, leider – so scharf wie eh und je.«
    »Er ist fast achtzig! Er schläft fast jede Nacht in diesem Sessel in seinem Fernsehzimmer, um keine Treppen steigen zu müssen. Er isst immer nur überbackenen Toast. Seine ehemaligen Gemeindemitglieder kaufen zwar manchmal für ihn ein, aber die meisten sind inzwischen selber ziemlich alt. Und ich glaube, er ist einsam.«
    Da Shep regelmäßig und dreimal häufiger als seine Schwester nach Berlin fuhr, wusste er über den Sessel Bescheid, der eher eine Frage von Nachlässigkeit als von Invalidität darstellte. Papa schlief über seinen Krimis ein – dankenswerterweise nicht über der Bibel –, und er aß nun mal gern überbackenen Toast. Wobei sich Shep eigentlich hätte freuen sollen, dass sich seine Schwester so besorgt zeigte. »Was schlägst du vor?«
    »Wir sollten vielleicht darüber nachdenken, ihn in eine dieser Pflegeeinrichtungen zu geben.« Seine Schwester hatte eine seltsame Art, mit Personalpronomen umzugehen.
    »Du weißt, dass Medicare die Kosten nicht übernimmt.«
    »Und warum nicht?«
    »Es spielt doch keine Rolle, warum nicht«, sagte Glynis entnervt. Beryl hatte die Vorstellung, dass man nur feststellen musste, warum etwas anders sein sollte, und schon führte man eine Veränderung herbei.
    »Streng genommen sind es keine medizinischen Einrichtungen«, sagte Shep geduldig. »Ich hab mich da erkundigt. So ein Laden kostet jährlich seine 75 000 bis 100 000 Dollar. Papa hat keine Ersparnisse, da er alles, was er hatte, verschenkt hat, und seine Rente kannst du vergessen.«
    »Immer dasselbe mit dir, Shepardo! Ich spreche von der zunehmenden Gebrechlichkeit unseres Vaters, und du denkst wieder nur ans Geld.«
    »Das liegt daran, dass man für das, was du vorschlägst, einen dicken Batzen davon braucht.«
    »Einen dicken Batzen von unserem Geld, wenn man’s genau nimmt«, sagte Glynis. Dass Shep seiner Schwester Zehntausende Dollar geliehen

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