Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
der Wimper zu zucken. »Schon möglich« war alles, was sie ihm zu entlocken vermochte, bevor er sie fragte, ob ihr die Mandeln zu den Bohnen schmeckten. Zumindest gab sich Glynis Mühe und aß, und dieser Umstand machte den Mann so ekstatisch glücklich, dass ihn ihre Worte nicht im Geringsten kümmerten.
Erst als sie die Stühle auf den ächzenden Dielen zurückschoben, kam jemand auf Terry Schiavo zu sprechen, die hirntote Patientin aus Florida, deren schlaffes, aufgeschwemmtes Gesicht seit Wochen die Hauptmeldung in sämtlichen Nachrichtensendungen war. Ihr Ehemann wollte ihre Magensonde entfernen lassen, während ihre Eltern darauf beharrten, sie weiterhin künstlich am Leben zu erhalten.
»Diese Filmausschnitte hängen mir vielleicht zum Hals raus«, sagte Jackson. Er lockerte den Unterkiefer und ließ sich ein Rinnsal Spucke übers Kinn laufen, wobei er ein näselndes Blöken ausstieß.
»Hör auf«, sagte Carol. »Das ist respektlos.«
Zu spät ging ihm auf, dass die Imitation allzu sehr an Flicka erinnerte.
»Was mich ärgert, ist, dass die Diskussion nichts mehr mit Terry Schiavo selbst zu tun hat«, sagte Glynis. »Der Ehemann und die Schwiegereltern hassen sich, es geht nur noch darum, wer gewinnt, und das arme Mädchen geht völlig unter in dem ganzen Gerangel. Die könnten sich genauso gut um ein Stück Fleisch zanken.«
»Wenn man sich diese Videoclips von Terri ansieht«, sagte Carol, »scheint mir aber schon, dass da noch jemand zu Hause ist. Die Magensonde zu entfernen wäre Mord.«
»Großer Gott«, sagte Jackson. »Das sind doch nur Reflexe. Wie wenn du eine Seeanemone anpiekst. Nur dass eine Seeanemone noch mehr Hirn hat.«
»Was mich ja fasziniert«, sagte Shep, »an dieser ganzen Öffentlichkeit, schon seit Monaten. Ich hab noch keinen einzigen Fernsehfuzzi darüber spekulieren hören, was es gekostet hat, diese Frau fünfzehn Jahre lang künstlich beatmen zu lassen.«
»Stimmt«, sagte Jackson. »Und wenn man die Anwaltskosten dazuzählt, die Gerichtskosten, die Zeit, die im Parlament damit verschwendet wurde, den Fall zu diskutieren. Diese eine menschliche Topfpflanze in Florida muss Millionen verschluckt haben.«
»Na und?«, sagte Glynis und ließ den Blick entsetzt zwischen ihrem Mann und seinem besten Freund hin und her schweifen.
»Es geht hier um menschliches Leben, Jim!«, sagte Jackson, aber Glynis lächelte nicht.
»Ist das alles, worauf es euch beiden ankommt? Was ein Leben kostet ?«
»Das ist nicht alles, worauf es ankommt«, sagte Shep. Jackson rechnete damit, dass sein Freund zurückrudern würde, doch erstaunlicherweise hielt er an seinem Standpunkt fest. »Aber es spielt eine Rolle. Es kostet ungefähr fünf Dollar pro Kopf, um einem Kind mit Durchfall in Afrika das Leben zu retten. Gut zwei Millionen Kinder auf dem Kontinent scheißen sich buchstäblich zu Tode. Wenn man das ganze Geld nähme, mit dem Terry Schiavo künstlich am Leben erhalten wird – oder was man so Leben nennt –, und es stattdessen nach Afrika tragen würde, dann könnte man dieses Jahr jedes Einzelne dieser Kinder retten.«
»Aber das Geld würde ja nicht nach Afrika getragen, oder?«, sagte Glynis mit wütendem Blick. »Wen würdest du denn noch draufgehen lassen, um Geld zu sparen?«
»Niemanden, Glynis.« Man musste Shep zugutehalten, dass er dem Blick seiner Frau standhielt. »Wie du schon sagtest, das Geld käme nie nach Afrika.«
Carol runzelte die Stirn. »Der Punkt ist doch, wir haben keine Ahnung, was Terry Schiavo womöglich für ein erfülltes Innenleben führt. Träume, Erinnerungen, wie sehr sie weiß, dass ihre Familie da ist, und spürt, dass sie umsorgt wird, selbst wenn sie nicht mit ihnen kommunizieren kann. Ihr Mann hat kein Recht auf so eine selbstherrliche Entscheidung, sie einfach abzuschalten, nur weil er keine Lust mehr hat, sie zu besuchen, und sich in jemand anderes verliebt hat.«
»Carol hat recht«, sagte Glynis. »Man weiß doch nie, wie sehr ein Mensch noch an seinem Leben hängt, auch wenn man der Meinung ist, man selbst würde das niemals aushalten. Vielleicht irrt man sich. Wenn die Alternative gleich null ist, wer weiß schon, was man nicht alles aushalten würde.«
Als er ihr half, den Tisch abzuräumen, staunte Jackson über die eigenartige Richtung, die das Gespräch am Ende genommen hatte. Normalerweise verteilten sich die vier mit ihren Ansichten über aktuelle Themen immer auf die gleiche Weise. Shep und Carol waren sentimental ( mitfühlend,
Weitere Kostenlose Bücher