Diesseits Des Mondes
konzentrieren musste.
Als der Zug stand, war Alexander schon da. Er nahm Sharons Tasche, stellte sie auf den Boden und sah Sharon an. Sharons Gefühle liefen ihr davon in alle Richtungen. Sie begriff nun, dass sie bis heute nichts von der Liebe gewusst hatte, nichts von Begehren, nichts von Leidenschaft. Und in Alexanders Augen las sie, dass es ihm ebenso erging.
Ich habe schon alles eingekauft, sagte er. Nun müssen wir noch eine Kleinigkeit erledigen. In der einen Hand trug Alexander Sharons Tasche, mit der anderen Hand zog er Sharon eng an sich. Sie gingen ohneAnstrengung in der sanften, warmen Morgenluft. Du bist noch viel schöner, als ich dich in Erinnerung hatte, sagte Alexander. Er führte Sharon in einen kleinen Laden unweit des Bahnhofs. Es war ein Juwelierladen. Der Besitzer, ein alter glatzköpfiger Mann, und seine mollige hellblond gebleichte Frau sahen die Ankommenden mit glänzenden Augen an. Auf der Theke lag eine weiße Decke, in einem Silberleuchter brannten zwei Kerzen, die Tochter des Paares brachte Asti spumante. Alle schauten Sharon feierlich an. Der Alte gab Alexander jetzt ein Etui, Alexander nahm zwei Ringe heraus, rotgoldene glatte Trauringe, einen davon steckte er Sharon an den Ringfinger ihrer linken Hand. Der Ring passte. Den anderen Ring gab er Sharon. Wieder spürte Sharon ihr Herz in den Schläfen klopfen, sie nahm den Ring, steckte ihn an Alexanders Finger, die Italiener gratulierten, sie musste Asti spumante mit ihnen trinken. Dann stürzten Alexander und Sharon hinaus an die Sonne.
Das Haus der von der Heydtes bestand eigentlich aus drei Gebäuden. Auf verschiedenen Ebenen lagen sie wie weiße Würfel im Tal der Propheten. So taufte es Sharon, denn es erinnerte sie an die Landschaft bei Jerusalem, die ähnlich grün und sanft sich im Horizont verlor. Sharon war ganz bei Alexander, sie empfand seine Offenheit, die Zärtlichkeit, die in seinem Tun lag, in seiner Stimme, die »komm zur Schlossbesichtigung« sagte und ihr die karg und schön eingerichteten Räume zeigte. Viel Weiß, Mauerwerk, weiße Felle, auffallend viel Gemälde. Sharon sah alles und sah es doch nicht, sie spürte nur Alexander neben sich, er zeigte ihr gerade das große helle Bad, es gab auch eine Dusche außen in der Sonne. Dort zogen siesich aus, duschten im hellen Licht. Sharon fühlte seinen Körper, er glitt in sie hinein und sie in ihn, unter dem sonnenwarmen Wasser zerflossen sie in eines. Sharon wusste, dass sie noch nie im Körper eines Mannes Platz gefunden hatte, erst jetzt in Alexander, dass sie für alle Zeit dort bleiben musste. Niemals vorher hatte sie etwas über die Liebe gewusst. Abel war ihr Bruder gewesen, Friedrich, wer war Friedrich gewesen? Sharon wusste es nicht, sie kannte nur Alexander, hatte ihn immer schon gekannt, geliebt, ohne es zu wissen. Ihr Körper war leicht, jede Bewegung Alexanders löste Feuer aus, setzte das Bett in Brand, auf dem sie lagen, seit wann schon? In Sharons Haar war noch Wasser, es roch nach Sonne. Alexander grub sich hinein, sagte, dass er dort bleiben wolle, für immer. Sharon suchte Worte für Alexander und für das, was mit ihnen geschah, ihre eigene Stimme schien ihr tief und brüchig. An Alexanders Körper, unter seinen Augen und Händen, verwandelte sich Sharons Liebe in Lust, in Raserei, sie spürte Alexander in sich, immer wieder und immer neu, sie sog seine Lippen in sich ein, seine Hände waren in ihrem Haar, in ihrem Nacken, auf ihren Brüsten, in ihrem Schoß.
Gegen Abend erwachte Sharon, weil Alexander ihren Körper streichelte. Sie war schon im Traum bereit gewesen, ihn zu umfangen.
Hungrig aßen sie Käse und Früchte und Brot, tranken den herben Wein, der hier angebaut wurde. Sharon saß am Tisch, ihre Hände lagen neben dem großen dunkelblauen Keramikteller mit Käse, Brot und Trauben. Alexander legte seine Hände auf die ihren. »Uns kann jetzt nichts mehr trennen, du. Wer es nicht weiß, dem sagen es die Ringe. Du bist ein Teil von mirund ich bin ein Teil von dir. Das ist nicht mehr rückgängig zu machen.«
Nach dem Essen stiegen sie einen schmalen Weg hügelaufwärts. Sharon trug hohe Stiefel, die der Frau des Verwalters gehörten. Es gab Schlangen im Gras. Die grünen Hügel ringsum legten ihr Abendkleid an, es war still und blau. Alexander und Sharon badeten in einer Felsengumpe, die kühles klares Wasser hatte. Erfrischt rannten sie zum Gut, wo der Verwalter, Aldo, mit seiner Frau Maria und seiner kleinen Tochter Nadia, zu Abend aß.
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