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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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schick ihn dir morgen rüber.«
    »Aber mein Onkel muss mich um sieben mit diesem alten Klepper zur Bahnstation fahren.«
    »Sei kein Spielverderber – denk dran, du hast einen Hang zum Zögern, der es verhindert, dass du ganz und gar das Licht meines Lebens wirst.«
    Amory lenkte sein Pferd nahe heran, beugte sich zu ihr und ergriff ihre Hand.
    »Sag, dass ich’s bin – schnell, oder ich zieh dich herüber und lass dich hinter mir reiten.«
    Sie sah auf und lächelte und schüttelte heftig den Kopf.
    »Ja, tu’s doch! Oder nein, lieber nicht. Warum sind alle aufregenden Dinge so unbequem, wie Kämpfen und Forschen und Skifahren in Kanada? Übrigens werden wir noch [339] den Harper Hill hinaufreiten. Ich glaube, das steht für fünf Uhr auf unserem Programm.«
    »Du kleine Teufelin«, grollte Amory. »Deinetwegen werde ich die ganze Nacht aufbleiben und morgen wie ein Neueinwanderer den ganzen Tag im Zug nach New York verschlafen.«
    »Still! Da kommt jemand die Straße entlang – weg von hier! Hüh-hjjjah!« Und mit einem Schrei, der dem verspäteten Wanderer vermutlich einige Schauer über den Rücken jagte, lenkte sie ihr Pferd in den Wald, und Amory folgte langsam, wie er ihr alle Tage, drei Wochen lang, gefolgt war.
    Der Sommer war vorbei, doch Amorys Tage waren damit erfüllt gewesen zu beobachten, wie Eleanor, ein anmutiger, leichter Manfred, sich kluge und phantasievolle Pyramiden baute und sich in den kapriziösen Launen ihrer Jugend gefiel, derweil sie am Essenstisch Gedichte schrieben.
    Als Eitelkeit küsst’ Eitelkeit, hundert glückliche Junimonate ist es her, sann er, noch atemlos, über sie nach und reimte, dass auf ewig alle es wüssten, ihre Augen mit Leben und Tod: »Durch alle Zeit werd ich meine Liebe bewahren!«, sagte er… doch die Schönheit schwand mit seinem Atem dahin, und mit ihren Geliebten starb auch sie…
    Was blieb, war sein Geist und nicht ihre Augen, was blieb, war seine Kunst und nicht ihr Haar:
    »Wer kunstvoll reimen lernen will, sei weise und halte ein vor seinem Sonett…« Alle meine Worte, so wahr sie auch sind, sollen dich in den tausendsten Juni singen, und dennoch wird niemand wissen, dass du die Schönheit warst für einen Nachmittag.
    [340] So schrieb er eines Tages, als er darüber nachsann, wie kalt man die »Dunkle Dame der Sonette« behandelte und wie wenig man sich ihrer erinnerte, wie der große Mann es gewünscht hatte. Denn was Shakespeare gewollt haben muss, um mit solch göttlicher Verzweiflung schreiben zu können, war, dass die Dame leben sollte… und jetzt nehmen wir keinen wirklichen Anteil an ihr… Die Ironie liegt darin, dass, hätte ihm mehr an dem Gedicht als an der Dame gelegen, das Sonett reine Rhetorik und Imitation gewesen wäre und nach zwanzig Jahren kein Mensch es mehr gelesen hätte…
    Dies war die letzte Nacht, in der Amory Eleanor je sah. Am nächsten Morgen sollte er abreisen, und sie hatten einen langen Abschiedsritt im kalten Mondlicht verabredet. Sie sagte, sie wolle reden – vielleicht das letzte Mal in ihrem Leben, dass sie vernünftig sein könnte. (Damit meinte sie: eine bequeme Pose einnehmen.) Sie bewegten sich auf den Wald zu und ritten eine halbe Stunde fast wortlos, bis auf ein »Verdammt!«, das sie angesichts eines lästigen Astes flüsterte – wie kein anderes Mädchen es je flüstern konnte. Dann ließen sie ihre müden Pferde im Schritt den Harper Hill erklimmen.
    »Lieber Gott! Wie still es hier ist!«, flüsterte Eleanor. »Viel einsamer als im Wald.«
    »Ich hasse den Wald«, sagte Amory schaudernd. »Jede Art von Gebüsch oder Unterholz bei Nacht. Hier wird es einem so weit und leicht ums Gemüt.«
    »Die lange Senke eines langen Hügels.«
    »Und der kalte Mond wälzt sein Mondlicht darüber.«
    »Und du und ich, als Letztes und Wichtigstes.«
    Es war ruhig in dieser Nacht – die schnurgerade Straße, [341] auf der sie bis zum Felsrand ritten, war niemals sehr belebt. Nur hier und da unterbrach eine Negerhütte, silbrig-grau in dem felsdurchzogenen Mondlicht, die weite Fläche öden Grundes; hinter ihnen lag schwarz der Waldrand wie dunkler Überzug auf einem weißen Kuchen und vor ihnen die scharfe, weite Linie des Horizontes. Es war viel kälter – so kalt, dass die Kälte sich auf ihnen niederließ und alle warmen Nächte aus ihren Gedanken vertrieb.
    »Das Ende des Sommers«, sagte Eleanor weich. »Hörst du den Hufschlag unserer Pferde – ›tomm – tomm – tomm– ta – tomm‹. Hast du je Fieber

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